Der verlorene Ursprung
geschossen, kaum daß sie sich gemeldet hatte.
»Normal wäre, zuerst hallo zu sagen und dann zu fragen«, antwortete sie mit ihrer volltönenden Stimme, die mir durch und durch ging.
»Hallo. Hast du einen Rechner mit Internetanschluß?«
»Selbstverständlich.«
»Dann gib mir mal deine E-Mail-Adresse. Ich schicke dir etwas, das dir gefallen wird.«
»Weißt du, manchmal benimmst du dich seltsamer als dieser Unglücksrabe von Luk’ana, der uns durch Qalamana geführt hat.«
»Da hast du recht«, sagte ich gespielt gleichgültig. »Ach ja, hast du heute schon was vor?«
Sie schwieg.
»Ah, warte, ich hab’s wieder vergessen!« Ich lachte. »Erst hallo sagen, dann fragen. Hallo noch mal. Hast du heute schon was vor?«
Ich wußte, daß sie lächelte.
»Ich wollte meinen Koffer fertig auspacken und ein bißchen aufräumen. Ich habe sehr lange geschlafen und bin, wie du dich erinnerst, gestern zu nichts gekommen.«
»Ich hab mich nämlich gefragt, ob du Lust hast, vorbeizukommen und dir meine Wohnung anzusehen. Sie haben mich hier allein gelassen. Was meinst du?«
»Willst du mich geheimhalten?« fragte sie nicht ohne Hintersinn.
Ich kannte inzwischen einige Codes, um ihre Reaktionen zu entschlüsseln. Natürlich hatte ich, wie sie nur zu gut wußte, etwas ganz anderes im Kopf. »Eigentlich hatte ich gedacht, wir .«
»Halt, stop«, fiel sie mir hastig ins Wort. »Schick mir das, was ich mir anschauen soll, und dann reden wir später noch mal. Gönn mir eine Verschnaufpause.«
Ich notierte mir sorgfältig ihre Adresse, dann legten wir auf. Als ich eben die Fotos abschickte, rief meine Großmutter an.
»Arnau? Hör mal, ich bin bei Daniel.«
»Ja?«
»Du müßtest für eine Weile herkommen und nach deinem Bruder sehen. Paßt dir das?«
Was sollte das heißen, ob es mir paßte . ? Es paßte mir überhaupt nicht, unmöglich, ein Unding! Ich hatte heute wahrlich Wichtigeres zu tun und wollte um nichts in der Welt darauf verzichten. Gerade war ich versucht, ihr zu zeigen, wie genervt ich von ihrer Bitte war, da wußte ich es: Bestimmt war meine Großmutter nicht allein und drückte sich deshalb so unklar aus. Sie mußte einen Weg gefunden haben, mich mit Daniel allein zu lassen.
»Heißt das, es ist dir gelungen, alle aus der Wohnung zu schaffen?« »Ja, es tut mir leid. Du mußt mindestens zwei, drei Stunden bei ihm bleiben. Ich weiß, du bist noch erschöpft von der Reise, aber ...« Im Hintergrund hörte man die Stimme meiner Mutter. Wenn ich müde sei, dann wohl eher, weil ich als erstes eine Kneipentour gemacht hätte. »Wir hatten gedacht, wir könnten es ausnutzen, daß du zurück bist, Arnau. Wir sind ziemlich am Ende. Das verstehst du doch, oder? Wenn du bei deinem Bruder bleibst, können Clifford, deine Mutter, Ona, Dani und ich ein bißchen in die Stadt gehen. Wir müssen noch Kindersachen kaufen und wollen dann irgendwo eine Kleinigkeit essen. Wir müssen mal raus, Arnau.«
»Du bist einmalig, Großmutter.«
»Komm schon, stell dich nicht so an!« schimpfte sie, und meine Mutter rief in einem Tonfall, der keine Widerrede zuließ, ich hätte bei meinem Bruder zu bleiben, Punkt, aus.
»Sag deiner Tochter, ich kann sie hören.«
»Das weiß sie schon«, gab meine Großmutter amüsiert zurück. »Sie hat es direkt hier in den Hörer gesagt, damit du es auch ja mitbekommst. Gut, dann ist also alles geklärt. Wann kommst du?«
»In einer Stunde. Ich muß Marta abholen.«
»Du schaffst das schon allein.«
Wollte sie andeuten, Marta solle besser im Auto warten, bis alle gegangen wären? »Und vergiß nicht diese scheußliche Puppe für Dani, die du uns gestern gezeigt hast.«
»Das ist ein Gott.«
»Das ist mir schnuppe. Es bleibt eine Geschmacksverirrung. Also, tschüs dann. Laß uns nicht warten.«
Nun gut, damit waren meine tollen Pläne für diesen Nachmittag hinfällig. Ich würde warten müssen, und das fiel mir wirklich nicht leicht. Etwas sagte mir, daß Marta mich besucht hätte. Aber das konnte ich ja noch herausfinden. Und uns blieb außerdem noch der Abend.
Ich rief sie an. »Hallo, hast du dir die Bilder angeschaut?«
»Bin gerade dabei.« Aus ihrem Tonfall hörte ich ihr Lächeln heraus. »Es kommt einem vor wie ein Traum, oder?«
»Stimmt. Mir ist es auch so gegangen.«
»Das Material ist hervorragend. Lola hat wirklich ganze Arbeit geleistet. Irgendwie verrückt, sich das hier zu Hause anzusehen!«
»Apropos zu Hause .«
»Ich habe es mir überlegt«, sagte sie eilig.
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