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Der verlorene Ursprung

Der verlorene Ursprung

Titel: Der verlorene Ursprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Cornwall?« fragte sie, ihr Gesicht buchstäblich an das meines Bruders gedrückt, der mittlerweile die Augen wieder aufgeschlagen hatte.
    »Wie soll ich das, ich bin doch tot«, blieb Daniel seinem Credo treu.
    »Möchten Sie lieber auf einem Stuhl sitzen?«
    »Wenn ich nur wüßte, was das ist!«
    »Ich hebe ihn hoch.« Ich machte Anstalten aufzustehen. Dieses absurde Gespräch war mir unerträglich.
    »Lassen Sie«, wandte sich die Krankenschwester mit gedämpfter Stimme an mich und bedeutete mir mit einer Geste, sitzen zu bleiben. »Ich muß ihm diese Fragen stellen. Damit ich sehe, welche Fortschritte er macht.«
    »Offenbar keine ...«:, sagte Ona bedrückt.
    Die Krankenschwester lächelte ihr mitfühlend zu. »Das wird. Es ist noch zu früh. Morgen geht es ihm bestimmt schon viel besser.« Sie löste die Manschette vom Arm meines Bruders und legte das Fieberthermometer zu den Medikamenten aufs Tablett. Dann wandte sie sich erneut an mich: »Fragen Sie ihn immer wieder, ob er aufstehen will. Am besten jedesmal, wenn Sie ihm die Augentropfen geben. Er muß sich bewegen.«
    »Ich habe keinen Körper mehr.« Daniel starrte an die Decke.
    »Aber hallo, mein Süßer, und was für einen!« Sprach’s und war schon aus der Tür.
    Ona und ich tauschten einen Blick und unterdrückten den Drang, laut loszuprusten. Endlich ein Mensch, der an diesem lausigen Ort seine gute Laune bewahrte! Doch unvermittelt verdüsterte sich die Miene meiner Schwägerin.
    »Die Augentropfen!« Sie sprang auf.
    Ich angelte die Tropfen vom Nachttisch und reichte sie ihr. Mein Laptop hatte sich inzwischen vollständig ausgeschaltet, das Handy die Verbindung zur Firma getrennt.
    Zärtlich und liebevoll auf ihn einredend, träufelte Ona meinem Bruder einige dieser künstlichen Tränen in die violetten Augen. Ich beobachtete die beiden und fand mich wie so oft in meiner Entscheidung bestätigt, mich niemals auf das Leben mit einem anderen Menschen einzulassen. Allein die Vorstellung, mich an jemanden zu binden, und sei es auch nur für kurze Zeit, war mir unerträglich. Wenn ich hin und wieder so wahnsinnig gewesen war, es doch zu tun, wenn ich unbedacht in diese Situation hineingeschlittert war, hatte ich innerhalb kürzester Zeit die Nase voll gehabt. Ich hatte danach gelechzt, mir meinen Raum, meine Zeit und, ja, auch meine Einsamkeit zurückzuerobern, mit der ich mich sehr wohl fühlte, frei, zu tun und zu lassen, wonach mir der Sinn stand. Ich fragte mich wie in dem Titel dieses alten Films von Manuel Gomez Pereira: Warum spricht man von Liebe, wenn man Sex meint? Mein Bruder hatte sich in Ona verliebt und war glücklich mit ihr und seinem Sohn. Mir gefiel eben mein Leben so, wie es war, und ich sah keine Veranlassung, einem Glück nachzujagen, das ich für unrealistische Anmaßung und Selbstbetrug hielt. Mir genügte es, daß ich nicht unglücklich war und die flüchtigen Freuden genießen konnte, die das Leben mir bot. Daß die Welt nur für den Glücklichen einen Sinn haben sollte, klang in meinen Ohren wie eine billige Ausrede, um dem Leben nicht ins Gesicht blicken zu müssen.
    Als Ona sich setzte, griff ich das Thema Quipus wieder auf. Es war an der Zeit, einige Knoten aufzudröseln. »Du warst bei den Miccinelli-Dokumenten und der Schrift der Inka .«
    »Ja, genau!« Sie zog die Beine an und machte es sich im Schneidersitz gemütlich. »Also, die Sache ist die, daß Laura Laurencich-Minelli die historische und paläographische Bedeutung der Dokumente untersuchte, während Marta Torrent sich das Quipu vornahm, das in einen der Bögen eingenäht gefunden worden war. Dabei stellte sich heraus, daß es einen direkten Zusammenhang zwischen den Schnüren und den in Quechua geschriebenen Worten geben mußte. Der Gedanke lag nah, daß sie so etwas wie einen zweiten Stein von Rosetta in Händen hielt. Mit dem hatte man die ägyptischen Hieroglyphen entziffern können, und sie hoffte jetzt, das verschüttete Wissen um die Deutung der Quipus zurückzuerlangen. Das allerdings würde Jahre dauern. Deshalb ließ sie mit Erlaubnis von Clara Miccinel-li, der das Archiv in Neapel gehörte, Kopien des gesamten Materials anfertigen und brachte sie hierher nach Barcelona.«
    »Und kaum war sie hier, widmete sich unsere liebe Marta ganz dem Geheimnis um das alte System der Inkaschrift. Weil das eine Sisyphusarbeit war, suchte sie unter ihren Dozenten nach dem klügsten und am besten geeigneten und entschied sich für Daniel, dem sie unverzüglich die

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