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Der verlorene Ursprung

Der verlorene Ursprung

Titel: Der verlorene Ursprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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ins Schleudern geraten.
    »Daniels Chefin Marta Torrent ist eine Koryphäe auf dem Gebiet.« Meine Schwägerin verzog das Gesicht. Offenbar konnte sie diese Marta nicht ausstehen und fand es unmöglich, daß Daniel für sie gearbeitet hatte. »Sie hat jede Menge wissenschaftliche Werke veröffentlicht, schreibt für Fachzeitschriften aus aller Welt und wird zu allen Anthropologen-Kongressen eingeladen, bei denen es um Lateinamerika geht. Sie ist eine bedeutende Persönlichkeit. Und eine aufgeblasene und arrogante Ziege.« Ona schlug selbstgefällig die Beine übereinander und warf den Kopf zurück. »Hier, in Katalonien, sitzt sie nicht nur auf dem Lehrstuhl für Kultur- und Sozialanthropologie an der UAB, nein, sie leitet auch das Zentrum für internationale und interkulturelle Lateinamerikastudien, und sie ist Vorsitzende des Katalanischen Instituts für iberoamerikanische Zusammenarbeit. Jetzt verstehst du vielleicht, wieso Daniel für sie arbeiten mußte: Hätte er ihr Angebot abgelehnt, er hätte seine Uni-Karriere an den Nagel hängen können.«
    Mein Bruder wälzte sich unruhig im Bett, warf den Kopf hin und her und schlug mit den Händen wie mit Flügeln. Hin und wieder murmelte er dasselbe unverständliche Wort: lawt’ata. Es mußte einen Grund geben, daß er ständig darauf zurückkam, doch der war für uns nicht ersichtlich. Daniel flüsterte kaum hörbar »lawt’ata« und warf sich unruhig herum; dann wiederholte er es mit einem Lachen, und anschließend war er eine Weile still, bis das Ganze wenig später von vorn anfing.
    »Okay, in Ordnung.« Ich strich mir über die stoppeligen Wangen. »Lassen wir diese Marta einmal außen vor. Woran genau hat er eigentlich gearbeitet?«
    Ona griff träge nach dem Buch, das aufgeschlagen über der Armlehne des Sessels lag, schob das Lesezeichen zwischen die Seiten, klappte das Buch zu und ließ es in ihren Schoß rutschen.
    »Ich weiß nicht, ob ich .«
    »Ona, ich bitte dich, ich will doch Daniel oder dieser Doctora nicht die Ideen klauen.«
    Sie zog an den Ärmeln ihres Pullovers, bis sie die Hände darin vergraben konnte. »Ich weiß doch, Arnau, ich weiß! Aber Daniel hat mir ständig eingeschärft, daß ich mit niemandem darüber reden soll.«
    »Nun, du mußt es wissen . Ich versuche ja bloß zu begreifen, was hier eigentlich vor sich geht.«
    Einen Moment saß Ona in Gedanken versunken da, dann traf sie eine Entscheidung. »Du redest mit niemandem darüber, ja?«
    »Mit wem sollte ich bitte über Ethnolinguistik und alte Inkasprachen reden?« Ich lachte. »Glaubst du im Ernst, daß sich einer meiner Freunde für dieses abgehobene Zeug interessiert?«
    Ona schüttelte den Kopf.
    »Damit wäre deine Frage wohl beantwortet. Und jetzt erklär mir bitte, was das war, von dem Daniel wollte, daß du es niemandem weitersagst.«
    »Die Sache ist ein bißchen kompliziert.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust, ohne die Ärmel loszulassen. »Eine Freundin von Marta ist an der Universität von Bologna Professorin für präkolumbianische Kulturen. Diese Laura Laurencich-Minelli hat Anfang der neunziger Jahre von rätselhaften Dokumenten aus dem 17. Jahrhundert erfahren, die man zufällig in einem Privatarchiv in Neapel entdeckt hatte, die sogenannten Miccinelli-Dokumente. Nach dem, was Daniel mir erzählt hat, enthalten die Dokumente viele überraschende und neue Erkenntnisse über die Eroberung Perus. Wirklich aufsehenerregend sind sie jedoch - und deshalb hat sich Laura Laurencich-Minelli an ihre Freundin Marta Torrent gewandt -, weil sie die notwendigen Anhaltspunkte liefern, um eine in Vergessenheit geratene Schrift der Inka zu entschlüsseln, die belegt, daß das keine unterentwickelte Kultur von Analphabeten war.«
    Das mußte zweifellos eine ganz außergewöhnliche Entdeckung sein, denn Ona sah mich mit großen Augen an, als erwartete sie eine begeisterte Reaktion von mir, die jedoch ausblieb.
    »Hast du mir zugehört, Arnau? Die Miccinelli-Dokumente zeigen, daß die spanischen Chroniken falsch sind. Sie liefern den schlüssigen Beweis, daß die Inka eine Schrift hatten!«
    »Oh, also, das ist ... prima!« stotterte ich, obwohl ich dachte, ich sei im falschen Film.
    Zum Glück merkte sie, daß ich keine Ahnung hatte, und half mir aus der Klemme. Es war nicht zu übersehen, daß das Thema sie begeisterte. Das war nicht weiter verwunderlich. Schließlich war sie für Anthropologie eingeschrieben und wollte ihr Studium ja offenbar auch beenden.
    »Überleg doch,

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