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Der verlorene Ursprung

Der verlorene Ursprung

Titel: Der verlorene Ursprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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wissenschaftliche Mitarbeit an ihrem Projekt anbot.«
    Onas Miene verdüsterte sich schlagartig.
    »Aber, Ona ...«:, wiegelte ich ab. »Die Doctora hat doch nichts weiter getan, als Daniel eine einmalige Chance zu bieten. Stell dir vor, sie hätte sich jemand anders ausgesucht! Ich verstehe nicht, warum es dich so aufregt, daß sie bei dieser wichtigen Arbeit an Daniel gedacht hat.«
    »Marta Torrent hat Daniel nur die Fleißarbeit angeboten! Deinem Bruder war das von vornherein klar, er wußte, daß sie ihn nur ausnutzte und später, wenn es um Anerkennung und das akademische Verdienst ginge, nicht einmal danke sagen würde. So läuft das immer, Arnau! Er hat sich beide Beine ausgerissen und neben den Lehrveranstaltungen für sie geackert, damit sie ganz bequem auf ihrem gut dotierten Lehrstuhl das Lob für seine Ergebnisse einheimsen kann.«
    Ich war überrascht von diesem Wortschwall. An der Universität mußte es für Daniel wirklich schlecht gelaufen sein, wenn die stets freundliche und ausgeglichene Ona derart in Rage geriet. Natürlich hatte ich davon gehört, daß die Leute in manchen Fachbereichen ausgenutzt wurden. Aber ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, mein Bruder könnte einer dieser bedauernswerten Underdogs sein, denen die Vorgesetzten das Blut aussaugen. Und selbst wenn, schien mir Onas Reaktion übertrieben.
    Auch Daniel ließ der Ton unserer Unterhaltung nicht unberührt. Plötzlich warf er sich wild herum und rief wieder und wieder das eine Wort, von dem er in dieser Nacht wie besessen war: »Lawt’ata, lawt’ata, lawt’ata ...«
    »Da ist noch etwas, das mir nicht in den Kopf will, Ona«, sagte ich nachdenklich. »Die offizielle Sprache im Reich der Inka war doch Quechua, und um das Quipu aus Neapel zu entschlüsseln, mußte man doch erst einmal Quechua verstehen. Warum hat Daniel dann aufgehört mit dieser Sprache und nur noch Aymara gelernt?«
    Ona zog die Brauen hoch und sah mich fragend an. »Ich weiß es nicht«, sagte sie schließlich verzagt. »Daniel hat es mir nicht erklärt. Er hat nur gesagt, er müsse sich auf das Aymara konzentrieren, weil darin ganz sicher der Schlüssel liege.«
    »Der Schlüssel wozu? Zu den Quipus auf Quechua?«
    »Ich weiß es nicht, Arnau. Der Widerspruch wird mir eben erst bewußt.«
    Beim Schreiben von Quellcodes, und sei die Anwendung noch so simpel, wiegte ich mich nie in dem Glauben, die Tausende von Zeilen, die ich produzierte, müßten frei von gravierenden Fehlern sein und das Programm folglich beim ersten Versuch reibungslos laufen. Nach Wochen oder gar Monaten Arbeit am Konzept und der Entwicklung eines Projekts stand die aufregendste und anstrengendste Aufgabe noch bevor: die mühsame Suche nach diesen unscheinbaren Fehlern in der Struktur, die das gesamte sorgsam errichtete Gebäude zum Einsturz bringen konnten. Allerdings näherte ich mich dem Code nicht unvorbereitet, denn bereits während ich die Befehle und Algorithmen schrieb, sagte mir ein sechster Sinn, wo die dunklen Bereiche waren und was später womöglich Ärger bereiten würde. Ich zweifelte nie an meiner Intuition. Wenn ich das Programm schließlich kompilierte, um zu sehen, ob es lief, bestätigte sich mein Verdacht immer. Einen Fehler zu suchen und zu finden war viel interessanter, als ihn zu beheben, was letztendlich nur eine einfache und mechanische Tätigkeit darstellte. Gelang es aber, ein Problem zu identifizieren und es aufgrund einer Eingebung oder Ahnung bis auf den Ursprung zurückzuverfolgen, fühlte man sich unwillkürlich als Held, wie Odysseus auf der Reise nach Ithaka.
    Als wäre mein Bruder Daniel ein Computerprogramm, das aus Millionen von Textzeilen bestand, sagte mir mein sechster Sinn, daß es auch bei ihm dunkle Bereiche geben mußte, die für die Aussetzer in seinem Gehirn verantwortlich waren. Nur hatte ich dieses imaginäre Programm, nach dem Daniel funktionierte, nicht geschrieben. Folglich konnte ich zwar vermuten, daß es fehlerhafte Verknüpfungen gab, verfügte jedoch über keinerlei Anhaltspunkte, um sie zu lokalisieren und die Fehler zu beheben.
    Den Rest dieser zweiten Nacht verbrachte ich mit Arbeiten und kümmerte mich zwischendurch um meinen Bruder, aber als das erste Morgenlicht durchs Fenster fiel und Ona aufwachte, stand mein Entschluß fest: Ich wollte mich ganz dieser Suche verschreiben und der Sache auf den Grund gehen. Ich würde aufklären, ob Daniels Erkrankung mit seiner Forschungsarbeit in Verbindung stand, die ihn so sehr in

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