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Der verlorene Ursprung

Der verlorene Ursprung

Titel: Der verlorene Ursprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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überflügelt, als sie fünfundsiebzig Prozent der Anteile an ihrem Portal Patagon.com für fünfhundertachtundzwanzig Millionen an die Banco Santander Central Hispano verkauften. Letzten Endes war Geld gar nicht das Entscheidende an der ganzen Transaktion. Viel wichtiger war, daß man mir eine Idee abgekauft hatte - eine einzige von den vielen, die ich noch haben konnte. Also legte ich die Dollar gut an, begann einige Monate später mit dem Hausbau und gründete Ker-Central, ein Unternehmen, das Sicherheitssoftware für das Netz entwickelte, also Antivirenprogramme und Firewalls. Daneben finanzierte Ker-Central innovative Projekte, die Forschungsergebnisse aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz für die Finanzbranche nutzbar machten (etwa durch die Entwicklung künstlicher Neuronennetze zur langfristigen Vorhersage von Aktienkursen).
    Bei Ker-Central eingehende Projektanträge wurden begutachtet, und wenn sie den Anforderungen entsprachen und das Beratergremium überzeugen konnten, übernahm die Firma die Finanzierung und Vermarktung, wobei sie selbstverständlich einen ansehnlichen Teil der Erträge einstrich. Was in meiner Familie niemand zu begreifen schien, war, daß mich all das viele Jahre harter Arbeit gekostet hatte. Daß ich mich hatte durchboxen müssen und mir über Jahre Stunden von meinem Schlaf abgeknapst hatte. In den Augen meiner Verwandten war der Geldsegen aus einer Laune Fortunas heraus auf mich niedergegangen. Das Glück, das ich gehabt hatte, war folglich nur Glück und keineswegs das Ergebnis einer Anstrengung, wie etwa Daniel sie unternommen hatte, um etwas zu erreichen.
    »Die Miccinelli-Dokumente«, fuhr Ona unbeirrt und freundlich fort, »stammen von zwei italienischen Jesuiten, Missionaren in Peru, und umfassen dreizehn beschriebene Bögen, von denen einer gefaltet war und in seinem Innern ein Quipu barg, das ...«
    »Was ist ein Quipu?«
    »Ein Quipu ...? Na ja, ein Quipu ... Ein Quipu ist eine dicke Kordel aus Wolle, an der eine Reihe farbiger Schnüre voller Knoten hängen. Je nachdem, wo die Knoten sitzen, wie dick sie sind und welchen Abstand sie zueinander haben, verändert sich ihre Bedeutung. Die spanischen Chronisten sind immer davon ausgegangen, daß die Quipus der Buchhaltung dienten.«
    »Dann ist ein Quipu eine Art Abakus?«
    »Ja und nein. Ja, weil die Inka mit ihrer Hilfe tatsächlich minutiös über ihre Steuereinnahmen, über Waffenbesitz, Einwohner, Ernten und so weiter Buch führten. Und nein, weil sich in der Chronik von Poma de Ayala, die 1908 in Kopenhagen gefunden wurde, und in einigen weniger bedeutenden Schriftstücken Hinweise darauf finden, daß die Quipus mehr waren als einfache Recheninstrumente: Sie berichteten auch von historischen oder religiösen Ereignissen oder erzählten Geschichten. Nur haben Pizarro und nach ihm die Vizekönige von Peru alles getan, um die Quipus, die sie fanden - und das waren viele -, zu zerstören. Außerdem haben sie die Quipucamayocs umgebracht, die als einzige diese Knoten lesen konnten. Der Zugang zu ihrer Deutung ging für immer verloren. Übriggeblieben ist bloß die vage Erinnerung daran, daß die Inka mit seltsam verknoteten Schnüren ihr Imperium verwaltet haben. Wird ein Quipu als Grabbeigabe entdeckt, landet es als Kuriosität in der Vitrine des nächsten Museums. Niemand kann es lesen.«
    An der Tür hörte man ein eiliges Klopfen, und gleich darauf trat eine glupschäugige Krankenschwester ins Zimmer, die ein Tablett in der Hand hielt.
    »Guten Abend«, begrüßte sie uns freundlich mit rauher Stimme. Dann wandte sie sich Daniel zu. Weil ich den Nachttisch mit Computer und Handy in Beschlag genommen hatte, stellte sie das Tablett auf dem Bett ab. »Zeit für die Medikamente.«
    Meine Schwägerin und ich hatten ihren Gruß erwidert und folgten von unseren Sitzen aus jeder ihrer Bewegungen wie Zuschauer einem Theaterstück. Wir kannten das Ritual bereits vom Vorabend. Erst brachte sie meinen Bruder dazu, die Tablette mit dem Promazinhydrochlorid und die Thioridazin-Tropfen zu schlucken, eine ziemlich mühsame Angelegenheit, da er sich weigerte mitzuspielen. Dann steckte sie ihm das Fieberthermometer unter den einen Arm und legte die Manschette für die Blutdruckmessung um den anderen. Ihre Handgriffe waren sicher, geübt und fachmännisch, und ihre Entschlossenheit zeugte von vielen Jahren Erfahrung. Doch nach dieser ersten Phase ging sie zu etwas Neuem über: »Wollen wir nicht ein bißchen aufstehen, Señor

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