Der verlorne Sohn
Langenstadt zu gehen.
Es mochte wenig über Mitternacht sein, als er aus seiner Hausthüre trat.
»Halt! Werda!« ertönte ihm eine Stimme entgegen.
»Der Köhler.«
»Stehen bleiben.«
Der Posten kam näher und überzeugte sich, daß er nur den Köhler vor sich habe. Größerer Sicherheit halber trat er an den Laden und blickte durch die Ritze desselben in die Stube, wo er den Kranken liegen sah.
»Ich denke, Sie schlafen,« sagte er.
»Das geht heute nicht. Ich muß den Meiler anbrennen.«
»Sie müssen in den Wald?«
»Ja. Oder darf ich etwa nicht?«
»Warum nicht? Wir haben nur den Kranken festzuhalten.«
»Der läuft Ihnen nicht davon. Gute Nacht.«
»Gute Nacht!«
Der Posten lauschte, bis er die Schritte des sich Entfernenden nicht mehr hörte, und setzte dann seinen Rundgang fort.
Es waren zehn Mann Soldaten unter einem Unteroffizier eingetroffen. Sie hatten ihr Quartier hinter dem Hause in einem Waldstreuschuppen und mußten sich Zwei zu Zwei ablösen. Der Gerichtsarzt, welcher gegen Abend hier gewesen war, hatte diese Vorsichtsmaßregel für vollständig genügend erklärt, da der Kranke ja nicht im Stande sei, sein Lager zu verlassen.
Die Nacht verging, und der Tag brach an. Als der Staatsanwalt in der Stube erschien und hörte, daß der Köhler abwesend sei, hatte er nicht das Mindeste einzuwenden. Auch der Arzt, welcher im nächsten Dorfe übernachtet hatte, kam. Er fand in dem Zustande des Kranken nichts verändert. Polizisten und Gerichtsbeamte kamen und gingen. Kurz nach Mittag kam ein Reiter. Als der Staatsanwalt ihn erblickte, ging er ihm entgegen, um ihn in großer Ehrerbietung zu begrüßen. Es war der Fürst von Befour.
»Ist mein Diener hier?« fragte er.
»Welcher, Durchlaucht?«
»Anton.«
»Nein.«
»Ist er hier gewesen?«
»Auch nicht.«
»Sonderbar. Ich war gestern verreist, erhielt aber die telegraphische Mittheilung, daß der Hauptmann gefangen sei. Als ich heimkehrte, hörte ich, daß Anton mit dem letzten Zuge abgefahren sei, um sich diesen Hauptmann anzusehen. Ich habe geglaubt, ihn ganz sicher hier zu finden.«
»So kommt er noch. Er hat die letzte Station zwei Uhr Nachts erreicht und dann nicht weiter gekonnt, da es Nacht war und er die Wege nicht kannte.«
»Wie befindet sich der Gefangene?«
»In vollständiger Lethargie.«
»Ist es nicht vielleicht Verstellung?«
»Ganz gewiß nicht. Bitte, wollen Sie sich überzeugen!«
»Ja, gehen wir herein.«
In der ärmlichen Stube angekommen, trat der Fürst an das Bette und betrachtete den Kranken.
»Sein Gesicht ist entsetzlich zugerichtet,« meinte der Anwalt.
»Ja, es ist kein Zug zu erkennen. Woran aber hat man denn den Hauptmann erkannt?«
»An der Kleidung. Es ist diejenige, welche er bei dem Herrn von Scharfenberg mitgenommen hatte.«
»Ist sie genau als dieselbe recognoscirt worden?«
»Mit voller Sicherheit.«
»Hm!«
Der Fürst nahm die Hand des Kranken in die seinige und betrachtete sie. Er schob die Lippen des Bewußtlosen aus einander, betrachtete die Zähne und sagte dann: »Sie haben nicht den Hauptmann gefangen.«
»Nicht? Was!« rief der Anwalt.
»Ich kann es beschwören.«
»Sie erschrecken mich, Durchlaucht!«
»Das sind nicht die feinen, gelblichen Hände des Barons von Helfenstein; das sind auch nicht seine schmalen, matt schimmernden Zähne. Hier diese Zähne sind breit und kräftig, wie diejenigen eines Mannes, welcher gewöhnt ist, harte Rinden zu beißen.«
»Durchlaucht, dürften Sie sich nicht irren?«
»Nein, ich bin meiner Sache gewiß.«
»Aber er hat falsche Perrücke getragen.«
»Das ist freilich auffällig, dennoch aber ist er ein Anderer. Hat er nicht gesprochen?«
»In der Nacht.«
»Was?«
»Einige abgerissene Worte.«
»Die Sie sich natürlich notirt haben?«
»Nein. Sie waren ohne alle Bedeutung.«
»Ich glaube nicht, daß in einem solchen Falle ein Wort ohne alle Bedeutung sein kann. Wer hat gewacht?«
»Diese Dame hier.«
Er deutete auf die Pflegerin. Der Fürst fragte diese:
»Können Sie sich der Worte erinnern?«
»So ziemlich. Er stieß einen lauten Angstschrei aus. Dann sprach er von Herabgeworfenwerden, von einem Tornister, von Geld darin und nannte einige Namen.«
»Welche?«
»Das weiß ich nicht so genau. Er sprach, glaube ich, auch von Amerika und von einem – na, wie war es doch – von einem Holzschnitzer.«
Der Fürst blickte schnell auf.
»Amerika? Holzschnitzer?« fragte er. »Hat er den Namen dieses Holzschnitzers
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