Der verlorne Sohn
gebracht werde. Erst als sich in Folge dessen die Menge nach und nach verlaufen hatte, wurde er in eine Droschke gethan und in das Gefängniß gebracht.
Sein Empfang war so, wie es zu erwarten stand. Er wurde in das schwerste Eisen gelegt, erhielt einen Wächter in die Zelle und außerdem zwei Posten vor Thüre und Fenster derselben. Er mußte einsehen, daß er von jetzt an alle Hoffnung aufzugeben habe. Er war rettungslos verloren.
Als der Fürst den Gefangenen so sicher untergebracht sah, begab er sich vor allen Dingen zu Alma von Helfenstein, die ihm in großer Erregung entgegengeeilt kam.
»Höre ich recht? Sagt man die Wahrheit?« fragte sie. »Er ist wieder gefangengenommen worden?«
»Ja, mein Herz, jetzt entkommt er nicht wieder; jetzt endlich werden sich wohl alle Knoten lösen lassen.«
»Auch der betreffs meines Bruders?«
»Ja.«
»Wann soll er es erfahren?«
»Hoffentlich in den nächsten Tagen, nachdem der Baron auch in dieser Angelegenheit vernommen worden ist.«
»Wieder und immer wieder Aufschub!« klagte sie.
»Auch mir wird es schwer, mich in Geduld zu fassen. Ich glaubte, daß das Zeugniß der beiden Schmiede hinreichend sei.«
»Ist es das nicht?«
»Leider nicht. Sie scheinen sich verständigt zu haben. Der Alte nimmt Alles auf sich, und der Junge sagt, daß er von gar nichts wisse. Das erschwert die Sache.«
»Warum aber thun sie das?«
»Der Vater will den Sohn retten. Ich ahne sogar, daß er, nachdem er sicher ist, den Sohn straffrei ausgehen zu sehen, die Hand an sich selbst legen wird.«
»Selbstmord? Mein Gott.«
»Ja, sicher. Der alte Wolf ist nicht der Mann, der sich in das Zuchthaus schaffen läßt. Er zieht den Tod vor.«
»Kann man dies nicht verhüten?«
»Nein. Wer sich tödten will, der tödtet sich trotz der gespanntesten Wachsamkeit. Uebrigens kann ich ihm nicht Unrecht geben. Auch ich würde den Tod vorziehen.« – – –
Einige Tage später saß der Köhler Hendschel mit seiner Frau und dem Holzschnitzer Weber an dem Lager seines Patienten, der natürlich nun nicht mehr militärisch bewacht wurde, aber noch immer in einem Zustande mangelnden Bewußtseins lag.
Da sah der Alte eine Uniform unter den Bäumen schimmern.
»Der Postbote!« rief er aus.
»Will der denn zu uns?« fragte die Köhlerin verwundert.
»Zu wem denn sonst? Wir sind die Letzten hier am Ende der Welt. Wer sich hier sehen läßt, der will zu uns.«
»Aber wer kann uns denn schreiben?«
»Das werden wir sogleich erfahren.«
Der Briefträger kam herein, hob einen großen Brief empor und las die Adresse: »Herrn Kohlenbrenner Andreas Hendschel. Eichengrund bei Dorf Wettersheim.«
»Der bin ich!« constatirte der Alte.
»Das will ich meinen! Ihnen einen Brief zu bringen, das ist eine Arbeit. Ich habe fast zwei Stunden zu gehen.«
»Dafür gebe ich einen Schnaps.«
Er zog die alte, nur sehr selten angerührte Flasche aus dem Wandschränkchen und schenkte ein. Dann hielt er, während der Briefträger trank, den Brief gegen das Licht, schüttelte den Kopf und sagte: »Das sieht gerade wie ein Amtsbrief aus!«
»Natürlich,« sagte der kundige Postbeamte. »Er kommt aus dem Oberlandesgericht.«
»Was! Aus der Hauptstadt?«
»Freilich.«
»Was wird man von mir wollen?«
»Das werden Sie im Briefe lesen.«
»Ich kann ihn nicht lesen. Der Schreck ist mir in alle Glieder gefahren. Machen Sie ihn auf. Lesen Sie ihn vor!«
Der Briefträger öffnete das Schreiben unter vieler Umständlichkeit und las Folgendes:
»Der Kohlenbrenner Andreas Hendschel in Eichengrund wird hiermit veranlaßt, sich binnen heute und zehn Tagen an Amtsstelle hier einzufinden. Anmeldung bei dem Herrn Oberlandesgerichtsrath von Eichendörffer.«
»Herrgott! Sie wollen mir den Proceß machen!« rief er aus.
»Weshalb denn den Proceß?« fragte Weber.
»Weil – weil – ich weiß es selbst nicht.«
Im Stillen aber dachte er an den Hauptmann, den er ja bei sich beherbergt hatte.
»Na, Gevatter, wenn Du nichts weißt, so hast Du ja nichts begangen,« meinte Weber. »Und wer nichts begangen hat, dem kann man nichts thun. Sei also unbesorgt!«
»Aber gerade in das Oberlandesgericht!«
»Desto besser! Je höher, desto hübscher!«
Dann meinte der Briefträger, indem er einen kleineren Brief zum Vorschein brachte:
»Hier ist noch ein Schreiben, auch mit einem großen Wappen. Vielleicht giebt es da Aufklärung.«
»Lesen Sie auch diesen vor!« meinte der Köhler, indem er sich ganz matt niedersetzte.
Der
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