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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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besinnen,« antwortete er kopfschüttelnd.
    »Was das für ein Mann ist! Kennt seine Verwandtschaft nicht einmal! Was bin ich denn eigentlich für eine Geborene?«
    »Na, Landrock.«
    »Gut. Wie hieß also mein Vater?«
    »Landrock.«
    »Mein Großvater?«
    »Landrock.«
    »Dessen Bruder?«
    »Abermals Landrock.«
    »Der hatte einen Vetter von seiten seiner Frau, die aber zufälligerweise auch eine geborene Landrock war. Wie aber hat nun dessen Oheims Sohn geheißen?«
    »Auch Landrock.«
    »Ja. Und dem sein Sohn wieder?«
    »Landrock. Das sind ja eine ganze Menge Landrocks!«
    »Ja, die Verwandtschaft ist ganz bedeutend. Ich stamme eben aus einer Familie, die sich sehen lassen kann. Die Hauptsache aber ist, daß dieser Sohn jenes Oheims in der Hauptstadt angestellt worden ist, und zwar bei Gericht.«
    »Als was denn?«
    »Als was zuerst, das weiß ich nicht; später aber ist er Amtswachtmeister geworden. Bei dem bleiben wir.«
    »Kennt er Dich denn?«
    »Er wird doch seine Muhme kennen!«
    »Habt Ihr Euch schon einmal gesehen?«
    »Nein. Das ist auch gar nicht nöthig.«
    »Wie lange ist es denn her, daß er damals in der Hauptstadt die Anstellung bekam?«
    »Vielleicht so einige vierzig Jahre.«
    »Sapperment! Am Ende lebt er gar nicht mehr.«
    »O, der ist nicht todt. Die Landrocks sind eine gar langlebige Familie. Er wird Freude haben, wenn er uns sieht, denn bei uns hat man immer auf Verwandtschaft gehalten.«
    »Aber wenn er dennoch todt ist!«
    »Na, in diesem Falle müssen wir eben im Wirthshause bleiben. Das kostet uns auch nicht gar so viel. Wir legen uns auf die Streu für drei Kreuzer. Kamm, Bürste und Seife nehmen wir uns mit. Ich will nur gleich hinaufgehen und nach den Sachen sehen!«
    »Wann denkst Du denn, daß wir fortmachen?«
    »Etwa gleich heute schon?«
    »Besser ist besser. Je eher wir gehen, desto eher sind wir wieder zu Hause. Du, dort kommt ein Wagen.«
    Es kam eine einspännige Kalesche langsam und vorsichtig den schmalen Waldweg daher. Ein Herr saß darin.
    »Das ist der Gerichtsarzt!« meinte der Köhler.
    »Gut, da werden wir gleich hören, ob wir wegen des Kranken verreisen können oder nicht.«
    Die Kalesche hielt an; der Arzt stieg aus und kam herein.
    »Wie geht es ihm?« fragte er die Frau.
    »Noch wie erst.«
    »Sie haben ihm die Charpie im Gesicht doch immer feucht gehalten?«
    »Ja, sie ist nicht trocken geworden.«
    »Das ist die Hauptsache. Die Tropfen, welche ich Ihnen zu diesem Zwecke gegeben habe, heilen die Verwundung schnell. Es kommt uns natürlich sehr darauf an, die Gesichtszüge möglichst schnell wieder kenntlich zu machen, damit wir erfahren, mit wem wir es eigentlich zu thun haben.«
    »Es könnte wohl doch noch der Hauptmann sein?«
    »Nein, der ist es nicht; den haben wir sicher und fest!«
    Der Kranke lag bewegungslos und ruhig athmend in dem Bett, das zerschundene Gesicht mit Charpie belegt. Der Arzt entfernte diese vorsichtig und sagte dann unter einem befriedigten Nicken des Kopfes: »Es wirkt ganz nach Wunsch. Das Blutrünstige hat sich bereits gesetzt, die Weiße der Haut tritt wieder zum Vorscheine. Noch zwei Tage, dann sind die Züge zu erkennen.«
    »O, ich sehe es schon jetzt,« meinte der Köhler unvorsichtig.
    »Was?«
    »Daß er der Hauptmann nicht ist!«
    »Ah! Kennen Sie denn den Hauptmann?«
    Erst jetzt bemerkte der Köhler, daß er sich ganz unnöthig in Gefahr begeben hatte. Seine Frau war resoluter, als er. Während er nicht wußte, was er sagen sollte, antwortete sie schnell: »Kennen? Nein, Herr Doctor. Aber wir vermuthen, daß wir ihn gesehen haben.«
    »Wo denn?«
    »Hier im Walde. Es trieb sich einige Tage lang ein Mensch in der Nähe des Hauses herum, der uns ziemlich verdächtig vorkam. Wir haben dann gedacht, daß es der Hauptmann ist.«
    »Ach so! Hat der Kranke gesprochen?«
    »Ja, aber undeutlich.«
    »Wollen einmal sehen, wo er Schmerzen hat.«
    Der Arzt betastete den ganzen Körper, ohne daß der Patient sich bewegte; als aber der Erstere die Hirnschale berührte, fuhr der Letztere mit den Armen empor und rief: »Fort! Mörder – Forstschreiber!«
    »Ah,« nickte der Arzt. »Sollte sich der Hauptmann ihm gegenüber für einen Forstschreiber ausgegeben haben? Wissen Sie vielleicht, ob der Kranke hört?«
    »Nein.«
    »Sie haben noch nicht auf ihn gesprochen?«
    »Einige Male, aber er antwortete nicht. Er schläft fortwährend.«
    »Das ist kein Schlaf, sondern Betäubung. Wollen einmal sehen, ob er antwortet.«
    Er fragte den

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