Der verlorne Sohn
sprechen haben und ersuche Sie höflichst, mir Ihre Polizeiorgane zur Verfügung zu stellen.«
»Wie? Was? Sie denken doch nicht etwa – – –«
»Daß dieser Doctor Zander Recht gehabt habe? Das ist sehr leicht möglich. Wie wäre es wohl anzufangen, um den Holzschnitzer Weber einmal unbemerkt zu sprechen?«
»Wenn Sie es wünschen, lasse ich ihn citiren.«
»Ist dies möglich, ohne daß es seinem Gaste auffällt?«
»Ich lasse ihm sagen, daß es sich um eine Holzschnitzerei für den Rathhaussaal handelt.«
»Das mag passiren. Versuchen wir es!«
Der Amerikaner hatte ein kleines Oberstübchen als Aufenthalt bekommen. Dort befand er sich, als Weber geholt wurde. Er erfuhr also gar nicht, daß dieser sich nach dem Rathhause zu verfügen hatte.
Weber erwartete wirklich, einen Arbeitsauftrag von dem Bürgermeister zu erhalten. Daher war er nicht wenig erstaunt, bei seinem Eintritte seinen Gevatter Hendschel zu sehen.
Dieser kam sogleich auf ihn zu, begrüßte ihn und sagte:
»Ich bringe Dir diesen Herrn, welcher einmal mit Dir sprechen möchte. Er ist ein Criminalpolizist aus der Residenz.«
Weber erschrak.
»Criminalpolizist?« sagte er. »Ich wüßte nicht, was mich zur Criminalpolizei in Beziehung bringen könnte.«
»Beruhigen Sie sich!« meinte Anton. »Ich komme keineswegs in feindseliger Absicht zu Ihnen. Ich möchte Sie vielmehr vor großem Schaden bewahren. Sie haben gestern Besuch erhalten, wie ich höre?«
»Ja.«
»Wer ist dieser Herr?«
»Mein Neffe aus Amerika.«
»Hm! Haben Sie ihn früher gesehen?«
»Nein.«
»Ist er in alle Ihre Familiengeheimnisse eingeweiht?«
»Ja. Es giebt da übrigens nichts Besonderes zu wissen.«
»Wo befindet er sich jetzt?«
»In seinem Stübchen, eine Treppe hoch.«
»Wird er bei Ihnen mit zu Mittag essen?«
»Ja.«
»Wann wird das sein?«
»Halb ein Uhr.«
»Schön. Können Sie verschwiegen sein?«
»O gewiß.«
»Nun, so haben Sie die Güte, Ihrem Neffen nicht zu sagen, daß Sie hier gewesen sind und daß von ihm die Rede gewesen ist. Es handelt sich nämlich um eine Ueberraschung für ihn, die Sie ihm verderben würden, wenn Sie plauderten. Er soll nämlich mit einem guten Bekannten zusammentreffen, ohne daß er es vermuthet.«
»Ich werde schweigen.«
»Auch den Ihrigen sagen Sie nichts, überhaupt soll kein Mensch vorher Etwas erfahren. Während Sie zu Mittag essen, wird ein Handwerksbursche anklopfen und um ein Wenig Essen bitten. Sie laden ihn ein, sich mit an den Tisch zu setzen; das ist Alles, was Sie zu thun haben. Jetzt können Sie sich wieder entfernen.«
Der Holzschnitzer gab dem Köhler die Hand und fragte:
»Du kommst doch einmal hin zu mir, Gevatter?«
»Jedenfalls. Vielleicht gleich nach dem Mittagessen.«
Weber ging. Anton erkundigte sich beim Bürgermeister, ob es hier einen leidlichen Friseur gäbe und bat ihn, den Gensd’arm und die zwei Stadtpolizisten kommen zu lassen. Der Kohlenbrenner wurde in einem Zimmerchen untergebracht, wo ihn Niemand sehen konnte.
Weber war recht nachdenklich geworden, während er nach Hause ging. Ein Criminalpolizist mit einer Ueberraschung für seinen Neffen, das klang nicht sehr entzückend. Dennoch ließ er sich Daheim nichts merken. Und als seine Frau fragte, um was es sich gehandelt habe, erklärte er, daß er von dem Rathe mit einer Arbeit betraut werden solle.
Die Zeit des Mittagsmahles kam, und der Amerikaner wurde gerufen. Er erschien in der Wohnstube und nahm mit am Tische Platz. Die Unterhaltung war ebenso lebhaft wie bisher. Man erwartete natürlich, daß der Neffe sehr viel zu erzählen habe und auch sehr viel erfahren wolle, und so reihten sich Fragen und Antworten in schneller Folge aneinander, bis es an die Thür klopfte.
»Herein!« sagte Weber.
Da trat ein Handwerksbursche herein, ärmlich zwar, aber reinlich gekleidet und fragte, ob nicht vielleicht ein Wenigkeit vom Essen übrig bleiben werde.
»Wohl kaum,« antwortete der Hausherr.
Seine Frau sah den Burschen forschend an; er schien ihr zu gefallen, denn sie sagte:
»Aber Mann, vielleicht essen wir doch nicht Alles auf.«
»Das wollen wir nicht erst abwarten. Wenn dieser Mann Hunger hat, so mag er sich mit hersetzen. Zureichen wird es für Alle, wenn auch nichts übrig bleiben dürfte.«
Die Frau warf ihrem Manne einen dankbaren Blick zu, und man machte für den Fremden Platz. Er setzte sich in der Weise eines höflichen, gesitteten Menschen auf seinen Stuhl und bekam vorgelegt. Der Amerikaner war ärgerlich,
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