Der verlorne Sohn
Kranken Verschiedenes, ohne aber Antwort zu erhalten. Jetzt legte er ihm die Hand, aber nur leise, auf die Hirnschale, und sofort bewegte sich der Kranke.
»Wie heißen Sie?« rief er ihm jetzt in’s Ohr.
Der Verunglückte horchte und antwortete dann:
»We – we – eber.«
Er brachte es nur stammelnd hervor.
»Woher sind Sie?«
»A – a – me – rika.«
»Wohin wollen Sie?«
»La – langen – stadt.«
»Zu wem?«
»O – o – oheim.«
Dann aber brach er in ein schmerzliches Wimmern aus.
»Ich darf nicht weiter in ihn dringen,« sagte der Arzt. »Der Hinterkopf ist geschwollen; vielleicht ist ein Schädelbruch vorhanden. Wir müssen darauf hinarbeiten, daß die Geschwulst sich setzt. Nun aber wissen wir wenigstens, wie er heißt.«
»Er ist mein Neffe,« sagte Weber.
»Wie, Ihr Neffe?«
»Ja; er hat zu mir gewollt und ist unterwegs von dem Hauptmanne vom Felsen gestürzt worden. Dieser ist dann zu mir gekommen, um bei mir versteckt zu sein.«
»Ah, so sind Sie jener Weber aus Langenstadt?«
»Ja.«
»Dann weiß ich den Patienten in guten Händen. Sie werden Alles thun, um ihn am Leben zu erhalten.«
»Natürlich! Ich werde Tag und Nacht nicht von seinem Lager weichen. Bitte nur, mir nur zu sagen, was ich thun soll.«
»Kalte Umschläge, weiter nichts.«
»Das kann ich allein besorgen, und so werden Sie wohl nichts dagegen haben, daß mein Gevatter hier mit seiner Frau nach der Residenz fährt?«
»Besser wäre es freilich, sie blieben da. Man weiß nicht, was passiren kann. Der Zustand des Kranken ist nicht ungefährlich.«
»Der Gevatter muß aber fort.«
»Muß? Warum?«
»Er ist in’s Gericht verlangt worden.«
»Ah, um wegen des Kranken hier vernommen zu werden?«
»Nein. Der Herr Staatsanwalt hat ihn bereits verhört. Aber es sind zwei Briefe gekommen. Vielleicht hätten Sie die Güte, sie einmal durchzulesen.«
»Zeigen Sie her!«
Der Arzt las die Briefe durch und fragte dann den Köhler lächelnd:
»Sie wissen nicht, was Sie sollen?«
»Nein. Ich habe überhaupt mit solchen Leuten nicht gern zu thun.«
»So haben Sie wohl gar Angst?«
»Ziemlich, Herr Doctor.«
»Das ist nicht nöthig.«
»Meinen Sie?«
»Ja. Ich ahne, um was es sich handelt, fühle mich aber nicht berechtigt, darüber zu sprechen. Nur das will ich Ihnen sagen, daß Sie nichts Unangenehmes erfahren werden.«
»Gott sei Dank! Na, Alte, so hole die beiden Staatsanzüge aus der Kammer herunter.«
»Sie wollen also heute noch fort?«
»Ja. Es ist besser, wir erfahren, ob wir geköpft oder gehängt werden sollen!«
»Jedenfalls keins von Beiden,« meinte der Arzt, indem er nach seiner Uhr sah. »Sie könnten mit dem Zuge fahren, welcher in dritthalber Stunde von der nächsten Station abgeht.«
»Das ist unmöglich. Wir brauchen zum Ankleiden wenigstens eine halbe Stunde, und zu Fuß ist die Station dann nicht mehr rechtzeitig zu erreichen.«
»So müssen Sie fahren!«
»Oho! Mit wem denn?«
»Mit mir.«
»Sapperment! Sie wollten uns mitnehmen?«
»Ja. Ich setze mich auf den Bock und kutschire Sie.«
»Das können wir gar nicht annehmen!«
»Warum denn nicht?«
»Sie, ein feiner, studirter Herr und wir – o jemineh!«
»Dummes Zeug! Leute, die zum Fürsten von Befour bestellt worden sind, kann ich recht gut kutschiren, ohne daß ich mir den Respect vergebe. Also, wollen Sie?«
»Warum denn nicht, wenn Sie uns die Ehre anthun wollen! Aber Sie müßten eben eine halbe Stunde warten.«
»Das werde ich. Beeilen Sie sich nur nach Möglichkeit!«
Die beiden alten Leute verschwanden. Der Arzt instruirte den Holzschnitzer Weber, wie er den Patienten zu behandeln habe. Unterdessen erhob sich über ihnen ein Lärm, als ob die Stubendecke eingetreten werden solle.
»Die da oben scheinen sich freilich zu beeilen,« lächelte der Arzt.
»O gewiß,« antwortete Weber. »Sie werden Ihr blaues Wunder sehen, Herr Doctor?«
»Wieso?«
»Sie legen ihren Hochzeitsstaat an, der fünfzig Jahre lang in der Truhe gelegen hat, ein einziges Mal ausgenommen, als sie vor achtzehn Jahren bei mir Gevatter standen.«
»Da bin ich freilich neugierig.«
»Passen Sie besonders auf den Cylinderhut auf! Er war damals schon unaussprechlich: hoch wie eine Feueresse und rauh wie ein Pudelfell. Die Beiden werden Furore machen in der Hauptstadt!«
Endlich kam es zur Treppe herab und zur Thüre herein. Die Beiden alten Gesichter glänzten vor Wonne. Der Köhler trat sofort zum Spiegel – denn droben gab es keinen –
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