Der verlorne Sohn
gehen?«
»Das ist wahr.«
»Nun, so haben wir es also Ihnen zu verdanken, daß der Hauptmann gefangen worden ist.«
»Na, das scheint mir allerdings so,« lachte der Alte.
»Wissen Sie, was Sie beim Fürsten sollen?«
»Nein.«
»Oder beim Herrn Oberlandesgerichtsrath?«
»Auch nicht. Vielleicht will man mich fragen, wie ich auf den Gedanken gekommen bin, daß der Hauptmann gerade in diesem Langenstadt stecken soll.«
»Das ist möglich.«
»Na, ich weiß wirklich selber nicht genau, wer zuerst darauf gekommen ist, ich oder hier meine Alte.«
»Ihre Frau hat den Gedanken auch gehabt? Ja, die Damen sind oft viel scharfsinniger, als die Männer.«
»Das will ich meinen,« fiel die Alte schnell und kräftig ein. »Das ist eine alte Weste!«
»Na,« lachte der Beamte, »dafür sind Sie wieder heute etwas weniger klug gewesen.«
»Wieso?«
»Der Gedanke, den Maler aufzusuchen, war kein glücklicher.«
»Er ist ja doch unser Verwandter!«
»Ich sagte Ihnen bereits, daß man auf so entfernte Verwandtschaft grade nicht viel geben darf. Warum kehren Sie nicht lieber im Gasthofe ein?«
»Herr, wir sind arm!«
»Hm! Na! Ja! Warum haben Sie da den Fürsten nicht aufgesucht?«
»Meinen Sie, daß er uns beherbergt hätte?«
»Vielleicht. Er ist ein sehr gütiger, gastfreundlicher Herr.«
»Von uns wäre das zu bettelig herausgekommen. Bei Verwandten aber kann man vorsprechen, ohne daß es einen solchen Anschein bekommt.«
»War denn der Maler der einzige Verwandte?«
»Eigentlich nicht; aber der Andere existirt nicht mehr.«
»Wer war das?«
»Der Wachtmeister Landrock.«
»Landrock? Der existirt nicht mehr? Wieso?«
»Er muß gestorben sein.«
»Weshalb vermuthen Sie das?«
»Er steht ja nicht im Register.«
»Im Register? Ach so! Sie meinen im Adreßbuche?«
»Ja.«
»Er steht darin, aber nicht als Amtswachtmeister.«
»So lebt er noch?«
»Jawohl.«
»Wo denn?«
»Er wohnt in der Wasserstraße Nummer Zehn.«
»So gehen wir zu ihm.«
»Hm! Er ist wirklich mit Ihnen verwandt?«
»Ja.«
»Auch so entfernt wie der Maler?«
»O nein, sondern viel näher.«
»Na, ich will nicht dagegen sein. Versuchen Sie Ihr Heil bei ihm. Sollten Sie aber bemerken, daß Sie ihm nicht willkommen sind, so gehen Sie lieber gleich zum Fürsten. Ihr Reisekamerad Anton wird Sie auf alle Fälle freundlich aufnehmen. Ueberhaupt will ich Sie darauf aufmerksam machen, daß es für Sie am Besten ist, heute noch zu dem Fürsten zu gehen. Er rechnet jedenfalls darauf, Sie sehr bald zu sehen.«
»Ich danke! Also bleibe ich nicht hier gefangen?«
»Nein. Mit dem Maler werde ich ein Wörtchen sprechen. Er wird nicht auf Ihrer Bestrafung beharren.«
»Sie sind sehr gütig. Darf ich nun fragen, wo sich diese Wasserstraße befindet?«
»Sie werden lieber fahren als gehen. Wir besorgen Ihnen eine Droschke. Sie brauchen sie nicht zu bezahlen.«
Die Beiden verließen das Polizeigebäude mit sehr erleichtertem Herzen. Als sie mit einander im Wagen saßen, sagte der Alte nachdenklich: »Du, ich werde an der Hauptstadt ganz irre.«
»Wieso?«
»Ueberall ist die Polizei grob und Andere sind höflich. Hier aber ist das gerade Gegentheil: Die Leute sind grob, aber die Polizisten sind höflich. Dieser Mann war geradezu liebenswürdig. Der könnte mir gefallen.«
»Mir nun auch. Erst aber hatte ich Manchetten vor ihm. Eingesteckt zu werden, ist nicht sehr angenehm.«
»Na, wir hatten Pech. Hoffentlich wird es jetzt besser.«
Sie stiegen vor Nummer Zehn der Wasserstraße ab. In diesem Hause hatte der einstige Amtswachtmeister vorher ein höchst armseliges Logis gehabt. Jetzt aber wohnte er in der ersten Etage.
Als die beiden Ankömmlinge die Klingel zogen, öffnete ihnen Anna, die Tochter Landrocks. Sie hatte ein ganz anderes Aussehen als vor Weihnachten. Sie blühte wie eine Rose, und ihre damals kranken Augen waren vollständig gesund und hergestellt.
»Was wünschen Sie?« fragte sie freundlich.
»Wir wollen den Herrn Wachtmeister besuchen,« antwortete die Alte, jetzt freilich in einem nicht sehr außerordentlich zuversichtlichen Tone.
»Bitte kommen Sie herein!«
Sie wurden in ein helles, einfach, aber hübsch ausgestattetes Zimmer geführt. Dort saß der alte Wachtmeister am Fenster, die Zeitung lesend und dabei seine Pfeife rauchend. Der blödsinnige Sohn hockte mit einem Bilderbuche auf dem Sopha. Auch er hatte ein viel menschlicheres Aussehen gewonnen, als vor den wenigen Monaten.
»Lieber Vater,« sagte Anna,
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