Der verlorne Sohn
war droben in Brückenau, wo er während einer Vorstellung einen Knaben tödtete. Bisher hat man geglaubt, dieser Junge sei sein eigenes Kind gewesen, jetzt aber stellt es sich heraus, daß dies nicht der Fall ist. Aus ihm ist nichts zu bringen. Seine Frau sagt, daß sie nichts wisse, und so soll ich nach Brückenau, um nachzuforschen.«
»Wer sendet Sie?«
»Der Fürst.«
»Daß doch dieser überall seine Hand im Spiel hat!«
»Er ist ein Criminalgenie ersten Ranges; das werden Sie noch besser bewiesen bekommen als bisher.«
»Also sollen Sie die Eltern jenes todten Knaben ausfindig machen?«
»Ja.«
»Vielleicht war er doch Bormann’s eigner Sohn?«
»Nein. Bormann hat niemals ein Kind gehabt.«
»Hätte er ihn geraubt?«
»Das vermuthet man.«
»Schrecklich! Wie muß es solchen Eltern zu Muthe sein! Kann ich doch bereits nicht solche Eltern begreifen, welche ihr Kind für Geld hingeben.«
»Wo wäre das vorgekommen?«
»Hier in der Nachbarschaft.«
»Was? Ein Kind für Geld hergeben? Als verkauft? Oder meinen Sie, daß arme Eltern ihr Kind an kinderlose Leute gegeben und dafür ein Geschenk erhalten haben?«
»Vielleicht ist es so gewesen.«
»Wer sind diese Eltern?«
»Der Holzhacker Schubert hier nebenan in Nummer Elf.«
»Was war es für ein Kind?«
»Ein allerliebster Knabe.«
»Wer sind seine Pflegeeltern?«
»Das weiß ich nicht. Ich erfuhr damals, daß ihn der fromme Seidelmann erhalten hat.«
Da fuhr Anton blitzschnell von seinem Stuhle auf.
»Seidelmann? Wissen Sie das genau?«
»Ja.«
»Also ein Verbrechen! Adieu!«
Mit zwei raschen Schritten war er zur Thür hinaus.
»Was ist mit ihm?« fragte der Köhler.
»Lassen wir ihn. Erzählen Sie mir lieber, was Sie in der letzten Stunde erlebt haben, Herr Vetter!« –Anton war schnell die Treppe hinunter und in das Nachbarhaus. Er kannte sämmtliche Bewohner desselben. Es war ja gerade in diesem Hause so Vieles geschehen, was zu seinem Verhältnisse zum Fürsten in Beziehung stand.
Als er bei dem Holzhacker eintrat, war nur dessen Frau zu Hause. Sie, die frühere Waschfrau, war noch immer gelähmt. Sie konnte kaum ein Glied bewegen.
»Guten Abend«, sagte er, denn es fing bereits an, dunkel zu werden. »Ist Herr Schubert zu Hause?«
»Nein.«
»Wo ist er?«
»Auf Arbeit in der Töpferstraße.«
»Das ist so weit, daß ich zuviel versäumen würde. Kennen Sie mich vielleicht?«
»Ich muß Sie wohl gesehen haben.«
»Aber was ich bin, wissen Sie nicht?«
»Nein.«
»Ich bin Criminalpolizist. Hier ist meine Marke.«
»Herrgott! Was wollen Sie bei uns?«
»Erschrecken Sie nicht. Ich komme nicht in feindlicher Absicht. Ich möchte mich nur nach einem Gliede Ihrer Familie erkundigen. Hatten Sie nicht einen Knaben, der sich nicht mehr bei Ihnen befindet?«
»Ja.«
»Wo ist er?«
»Das weiß ich nicht.«
»Wie? Sie wissen nicht, wo sich Ihr Kind befindet?«
»Nein.«
»So kann es sterben und verderben, Ihnen ist’s egal!«
»O nein. Es ist viel, viel besser aufgehoben als bei uns.«
»Woher wissen Sie das?«
»Herr Seidelmann sagte es.«
»Sie meinen doch denjenigen Seidelmann, welcher Administrator dieses Hauses war?«
»Ja.«
»Haben Sie etwa ihm Ihr Kind gegeben?«
»Ja.«
»Und Sie wissen nicht, wohin er es weitergegeben hat?«
»Nein. Er machte es zur Bedingung, daß wir nicht darnach fragen sollten. Ein großer Künstler wollte den Jungen an Kindesstatt annehmen. Wir sollten ganz verzichten. Um unser Kind glücklich zu machen, willigten wir ein.«
»Erhielten Sie etwas?«
»Ja.«
»Wieviel?«
»Zehn Gulden.«
»So wenig? Von einem großen Künstler? Wenn so einer einmal zahlt, giebt er mehr.«
»Wir waren froh, daß wir so viel erhielten. Ich lag krank da. Mein Mann hatte sich in’s Bein gehackt und konnte nicht arbeiten. Meine Kinder sollten auf dem Weihnachtsmarkte feilhalten, wurden aber arretirt, weil sie gebettelt hatten. Wir erhielten Strafe. Da kam uns die Summe sehr gelegen.«
»So, so! Also vor Weihnachten war es?«
»Ja.«
»Wie alt war der Junge?«
»Gegen fünf Jahre.«
»Welches Haar?«
»Blond. Er war überhaupt ein Bild von einem Jungen, sehr gut gewachsen. Ich habe sehr viel geweint, ehe ich mich an seine Abwesenheit gewöhnen konnte.«
»Haben Sie nichts wieder von ihm gehört?«
»Nie.«
»Ist er nach auswärts gekommen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Aber Sie wissen, welch’ ein Künstler der Betreffende war? Es giebt sehr verschiedene Künste.«
»Ich weiß es
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