Der verlorne Sohn
Gefangene holen, die mögen Sie gleich mit sammt dem Bette fortschaffen.«
Er ging.
»Gelungen!« sagte der Apotheker.
»Wann werden Sie das Mittel nehmen?«
»In einer Stunde.«
»Da wollen wir nur immer Abschied nehmen. Also, adieu bis nach dem Tode!«
»Adieu bis – diesseits der Hölle! Ich bin wirklich neugierig, wo ich stecken werde, wenn ich erwache.«
»Ich auch. Wir spielen mit dem Tode und mit der Ewigkeit. Es ist wirklich ungeheuer vermessen!«
»Wollen Sie nicht lieber ein Gesangbuchlied anstimmen, Sie Vorsteher der Brüderschaft zur Seligkeit?«
»Sie haben Recht! Wir müssen Männer sein. Denken wir lieber an die Gesichter, welche unsere lieben Freunde vom Gericht schneiden werden, wenn sie uns einscharren wollen, und es tönt ihnen das biblische Wort entgegen: Sie sind auferstanden und nicht mehr hier!«
»Herrlich! Ich möchte dabei sein!«
»Ich gäbe ein Jahr meines Lebens hin, wenn ich diese Schafskopfsphysiognomieen sehen könnte. Ah, da kommen sie!«
Der Schließer kehrte mit einigen Gefangenen zurück, welche er geweckt hatte. Sie mußten den Apotheker im Bette nach seiner Zelle tragen und wurden dann wieder eingeschlossen.
Am anderen Morgen war der Wachtmeister weit eher munter, als zu anderen Tagen. Er kam zu dem Schließer und fragte nach den beiden Patienten.
»Ich habe doch nicht gleich daran gedacht«, sagte er, »daß gerade diese Beiden wegen ganz derselben Sache in Untersuchung sind. Gut, daß der Seidelmann nicht bei Sinnen ist; sie hätten sich sonst Mittheilungen machen können.«
»Haben Sie keine Sorge, Herr Amtswachtmeister! Die beiden haben nicht neben einander geschlafen.«
»Nicht? Wie denn?«
»Der Apotheker fürchtete sich vor dem Halbtodten; es regte ihn auf. Er befürchtete eine Wiederkehr des Blutsturzes. Ich habe ihn daher in seine Zelle zurückschaffen lassen. Ich weckte dazu einige Gefangene, da ich Sie doch nicht wieder stören wollte.«
»Das haben Sie sehr klug angefangen. Da kommt mir ein Stein vom Herzen!«
Dann, als die Amtirungszeit begonnen hatte, kam der Gerichtsarzt zum Staatsanwalte, welcher ihm gestern gesagt hatte, daß er ihn zu Seidelmann begleiten wolle, um sein Urtheil über den Zustand desselben zu hören. Sie begaben sich mit einander nach der Krankenstation.
Der Kranke lag mit geschlossenen Augen, bleich und bewegungslos im Bette. Der Arzt befühlte den Puls an der Hand und am Herzen, horchte an Mund und Nase, zog ihm das eine Augenlid prüfend etwas empor und sagte dann: »Er wird den Mittag nicht weit überleben.«
»Glauben Sie das wirklich?«
»Ich behaupte es sogar.«
»Schade! Welch ein Beweismaterial gegen den Hauptmann geht uns da verloren!«
»Man hätte ihn ruhig in Rollenburg sterben lassen können.«
»Der Fürst wollte es so?«
»Pah! Da schickt er diesen jungen, unerfahrenen Doctor Zander nach Rollenburg, um Seidelmann untersuchen zu lassen und den Riesen Bormann ebenso. Der Zander sagt, sie seien transportabel – nun haben wir die Bescheerung da! Es fehlt nur noch, daß der Riese auch noch stirbt. Glücklicher Weise steckt der in der Abtheilung für Geisteskranke, mit der ich nichts zu schaffen habe.«
»Meinen Sie nicht, daß es hier doch noch ein Mittel gebe, die Lebensgeister wieder anzuregen?«
»Was sollte das sein?«
»Nun, irgend eine Stimulation. Ich bin nicht Arzt und kenne diese Mittel nicht.«
»Es ist zu spät. Es knüpft ihn langsam ab. Lassen wir ihm das Einzige, was er noch hat: daß ihn der Teufel in Ruhe holt. Denn selig wird dieser Fromme nicht; er ist es hier schon genug gewesen.«
Sie verließen die Station. Draußen meldete der Wachtmeister dem Gerichtsarzt:
»Herr Doctor, heute Nacht ein Blutsturz.«
»Und mich nicht geholt?«
»Der Patient wollte nicht.«
»Wer ist es?«
»Der alte Apotheker Horn.«
»Na, da habe ich nichts versäumt. Wenn er es selbst gewollt hat, daß ich nicht geholt werde, so mag er es auch verantworten. Er versteht es ja selbst.«
»Wollen Sie ihn nicht jetzt besuchen?«
»Hat er es gewünscht?«
»Nein. Er spricht gar nicht.«
»So läßt er es bleiben, der alte Giftmischer.«
Da aber meinte der Staatsanwalt:
»Ich möchte Sie aber doch bitten, zu ihm zu gehen. Ich begleite Sie. Das Leben dieses Mannes hat einen sehr hohen Werth für mich, als den Vertreter des Gesetzes, und Blutstürze sind bei seinem Alter gefährlich.«
»Na, da kommen Sie.«
Der Apotheker lag mit halb offenen, außerordentlich müden Augen auf seinem Bette.
»Was machen
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