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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Sie denn für Dummheiten, Horn!« sagte der Arzt in seiner derben Weise. »So ein alter Pharmaceut wird doch nicht krank werden. Wie geht es denn?«
    »Müde!« hauchte der Gefragte.
    »Zeigen Sie den Puls.«
    Das Gesicht des Arztes wurde bedenklicher.
    »Hat er viel Blut verloren?« fragte er den Wachtmeister.
    »Die Zelle schwamm förmlich.«
    »Das ist gut. Nur heraus mit dem schlechten Zeuge! Ich werde etwas verordnen, dann wird sich’s rasch bessern.«
    Draußen aber im Corridore, als die Thüre der Zelle wieder verschlossen war, blieb er kopfschüttelnd stehen und sagte zu dem Staatsanwalte: »Ich sagte drin nur so, um ihm Muth zu machen. Ich glaube, Sie werden heute zwei Leichen haben.«
    »Doch nicht!« meinte der Beamte erschrocken.
    »Ja. Er hat zu viel Blut verloren. Der Rest ist in den Adern kaum zu bemerken.«
    »Kennen Sie kein Mittel?«
    »Glauben Sie vielleicht, daß ich ihm die Adern voll Blut pumpen kann? Ein Wenig anregen kann ich ihn wohl, desto schneller aber wird es alle sein. Schade ist es auch um ihn nicht. Er hat viel auf seinem Gewissen.«
    »So möchte ich zu dem Gefängnißgeistlichen schicken.«
    »Thun Sie es! Diese Herren meinen ja, daß sie die einzigen Wegweiser zum Himmel sind. Ich werde übrigens baldigst wiederkommen. Vielleicht ist wenigstens der Apotheker noch zu retten.«
    »Thun Sie, was Sie thun können. Beide Patienten sind mir für die Acten fast unersetzlich!«
    Er schickte nach dem Anstaltsgeistlichen und sandte dann dem Fürsten von Befour ein Billett mit dem kurzen Inhalte:
    »Seidelmann und Apotheker Horn im Sterben. Könnte ich Sie einmal sehen?«
     
    Der Pfarrer kam sehr bald, mit den zur heiligen Handlung nöthigen Requisiten ausgerüstet, und begab sich zu dem Apotheker. Er fand ihn in einem Zustande außerordentlicher Schwäche, doch hatte der Kranke noch das Bewußtsein und konnte auch noch sprechen, wenn auch so leise, daß es kaum zu verstehen war.
    Der Geistliche war nicht allein gekommen, sondern Assessor von Schubert war bei ihm. Er als Untersuchungsrichter hatte es für werthvoll gehalten, zu sehen, wie der Sterbende sich zu dem Seelsorger verhalten werde.
    »Hören Sie mich?« fragte dieser Letztere.
    Der Apotheker nickte.
    »Sehen Sie mich auch?«
    »Nicht gut«, antwortete der Gefragte mit leiser Stimme.
    »Aber Sie wissen, wer ich bin?«
    »Der Pfarrer.«
    »Ja. Ich bin gekommen, Ihnen in Ihrer letzten Stunde den Beistand der Religion zu bringen. Gott ist allen Sündern gnädig. Er vergiebt selbst die schwerste That, wenn sie bereut wird. Sie stehen an den Pforten der Ewigkeit. Was Sie unbereut mit hinüber nehmen, werden Sie im Jenseits noch schwer zu tragen haben.«
    »Ja.«
    »Ich meine, ob Sie beichten wollen?«
    »Ja.«
    »Wir sind nicht allein. Der Herr Untersuchungsrichter befindet sich mit zugegen. Wünschen Sie, daß er sich entferne?«
    »Nein.«
    »Nun gut. So lassen Sie uns zunächst zum Allbarmherzigen beten, daß er Ihr Herz öffne, damit Sie in Reue alles Dessen gedenken, was Sie verbrochen haben.«
    Er kniete vor dem Bette nieder und betete laut. Dann erhob er sich und sagte:
    »Ich bin nicht allwissend und kann nicht Herzen und Nieren prüfen; darum ist es mir unmöglich, Sie zu fragen. Sagen Sie selbst mir alle Punkte, welche Sie von Herzen bereuen, und für welche Sie Vergebung erheischen!«
    Es war eine tiefe, weihevolle Stille in der Zelle. Der Untersuchungsrichter war näher getreten, um die leise Stimme des Beichtenden verstehen zu können. Er war im höchsten Grade gespannt auf die Bekenntnisse, welche derselbe machen werde. So warteten die beiden Beamten; aber der Sterbende schwieg. Er ließ kein Wort hören.
    »Haben Sie mich verstanden?« fragte endlich der Pfarrer.
    »Ja.«
    »Also, was haben Sie uns zu bekennen?«
    »Nichts.«
    Er sagte das in einem sehr eigenthümlichen Tone. Der Assessor raunte dem Geistlichen zu:
    »Das klang ja fast wie Hohn!«
    »O nein,« antwortete dieser ebenso leise. »Ein Sterbender und Hohn, das wäre ja entsetzlich!«
    »O, ich habe Erfahrung gemacht! Fragen Sie weiter!«
    Der Geistliche wendete sich wieder an den Gefangenen:
    »Wollen Sie etwa sagen, daß Sie kein Sünder sind?«
    »Nein.«
    »Also gestehen Sie!«
    »Ich kann nichts gestehen. Ich bin unschuldig.«
    »Aber Sie wollten doch beichten?«
    »Ja, wie jeder Andere beichtet.«
    »Sie wollen also eine allgemeine Beichte ablegen, so wie man sie bei der Communion nach den Worten des Geistlichen ablegt?«
    »Ja.«
    »Sind Sie sich keiner

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