Der verlorne Sohn
war.«
»Haben Sie nach der Leiche gesehen?«
»Ja. Ich kann nach einer sehr eingehenden Untersuchung nur constatiren, daß Seidelmann wirklich todt ist.«
»Woran gestorben?«
»Unzweifelhaft an Gehirnerschütterung.«
»Fatal, höchst fatal! Mit ihm ist uns ein höchst wichtiger Zeuge entgangen.«
Da meinte der Fürst von Befour:
»Grad weil Seidelmann für uns von solcher Wichtigkeit sein muß, dürfen wir hier nicht das Allergeringste versäumen. Es muß unwiderlegbar constatirt werden, daß er wirklich todt ist. Gehen wir zu ihm.«
Da antwortete der Gerichtsarzt in unterdrücktem Zorne:
»Durchlaucht, ich bin Arzt und zwar Gerichtsarzt. Ich glaube, an dieser Stelle und in dieser Angelegenheit competent zu sein!«
»Bitte, bester Herr Doctor, es fällt uns auch gar nicht ein, an Ihrer Competenz zu zweifeln; nur werden Sie zugeben, daß wir Grund haben, uns den Todten einmal anzusehen.«
»Dagegen kann ich allerdings nichts haben, bitte aber, mich von dieser Ocularinspection zu dispensiren.«
»Es wäre uns aber sehr lieb, wenn Sie sich mit betheiligen wollten!«
Der Arzt fühlte sich aber beleidigt; er antwortete:
»Das ist mir unmöglich. Ich habe andere Pflichten auch. Ich muß soeben zu einem Fieberkranken am Altmarkte.«
»Bitte, sind Sie nicht zunächst Gerichtsarzt?«
»Allerdings, doch habe ich als solcher nicht die Verpflichtung, den Tod eines Menschen zweimal zu constatiren. Selbst wenn ich hier bleiben wollte, würde ich mich nicht mehr mit dieser Leiche beschäftigen können; ich müßte vielmehr zu dem Apotheker Horn, dessen Tod in jeder Minute zu erwarten ist.«
»Also auch er stirbt gewiß?«
»Ja.«
»Das ist allerdings auffällig. Ich bin überzeugt, daß dieser Mann es vermag, sich scheintodt zu machen, und da er mit dem todten Seidelmann früher zweifellos in Verbindung gestanden hat, so liegt für uns die Veranlassung, sehr vorsichtig zu sein, gewißlich sehr nahe.«
Der Arzt zuckte beinahe höhnisch die Achseln:
»Sich etwa scheintodt machen, um entfliehen zu können?«
»Ja.«
»Das wäre kühn, nein, das wäre sogar wahnsinnig.«
»Wenn es keinen anderen Weg der Rettung giebt, so wagt man eben das Äußerste.«
»Wie hätte Horn in seiner Zelle zu dem betreffenden Mittel kommen können?«
»Er kann es mitgebracht haben. Jedenfalls ist er auf seine Arretur vorbereitet gewesen.«
»Und wie hätte er es Seidelmann geben können, welcher übrigens ohne Verstand gewesen ist?«
»Hm! Da haben wir freilich ein unübersteigliches Hinderniß. Die Beiden haben sich ja während ihres hiesigen Aufenthaltes gar nicht sehen können.«
»O doch!« fiel da schnell der Staatsanwalt ein. »Der Wachtmeister hat mir mitgetheilt, daß sich Horn infolge seines Blutsturzes in der Krankenstation befunden habe, wo auch Seidelmann liegt, allerdings nur für kurze Zeit. Seidelmann lag ohne Bewegung, wie eine Leiche, und es war für Horn so aufregend gewesen, so ganz allein und im Finstern mit diesem todtenähnlichen Menschen zu sein, daß er sich wieder in seine Zelle schaffen ließ.«
»Ach, das giebt zu denken! Wie nun, wenn Seidelmann nur simulirt hätte, wenn er gar nicht krank gewesen wäre? Es ist ihm das sehr wohl zuzutrauen.«
»Er war krank, er war besinnungslos und unzurechnungsfähig!« fiel der Gerichtsarzt ein.
»Sehen wir uns aber dennoch seine Leiche an!«
»Ich habe keine Zeit dazu!«
Da legten sich die Züge des Fürsten in den tiefsten Ernst. Er sagte:
»Ich habe hier nichts zu befehlen. Will der Herr Staatsanwalt Sie dispensiren, so hat er es zu verantworten.«
Auf diese indirecte Aufforderung wendete sich der Genannte an den Gerichtsarzt:
»Ich muß Sie wirklich bitten, uns zu begleiten, da die Angelegenheit von solcher Wichtigkeit ist.«
»Wenn Sie befehlen, gehorche ich, bitte aber zu bedenken, daß ich keineswegs gezwungen bin, ein Amt weiter zu führen, bei dessen Verwaltung ich auf solche Unannehmlichkeiten stoße, Herr Staatsanwalt.«
Der Genannte zog es vor, nicht zu antworten, und so begaben sich die Herren nach der Krankenstation, wo Seidelmann lag, nackt und nur in ein Betttuch gehüllt.
Der Gerichtsarzt zog das Tuch ganz fort, faßte den Scheintodten bei einem Arme und zog an demselben. Der Arm gab nicht nach, sondern der ganze Körper war so steif, daß er sich mitbewegte.
»Glauben Sie, daß bei so einer ausgesprochenen Todesstarre es noch möglich ist, daß er lebt?« fragte der Gerichtsarzt in ironischem Tone.
»Allerdings,« antwortete
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