Der verlorne Sohn
erfüllen, mein persönliches, mein privates Glück versäumt.«
»Sie werden es finden.«
»Wenn ich es finden soll, dann nur allein bei Ihnen!«
»Gott, ich weiß nicht, was ich denken soll! Sie kennen mich ja!«
»O, sehr genau.«
»Und Sie wissen, was mit mir geschehen ist!«
»Auch das weiß ich.«
»Dann können Ihre Worte nur Spott enthalten, und den, den habe ich nicht verdient. Gute Nacht!«
Sie zog ihren Arm aus dem seinigen und wollte fort. Aber er war schneller als sie. Er ergriff ihre Hand und hielt sie fest.
»Fräulein Werner, sagen Sie mir Eins, ehe Sie gehen, nur das Eine: Hassen Sie mich?«
»Nein.«
»Dann darf ich Sie auch nicht so von mir lassen. Bitte, gehen wir noch ein Stück weiter!«
»Nein. Hier wohne ich, und es ist so spät. Wenn Jemand uns sieht und mich erkennt!«
»So erkennt er wohl auch mich, und ich will Keinem rathen, schlecht von Ihnen oder mir zu denken oder gar zu sprechen. Nein, ich errathe, was Sie jetzt denken, und das ist nicht das Richtige. Ich will aufrichtig mit Ihnen sprechen, recht aufrichtig, so wie man nur ein einziges Mal im Leben aufrichtig ist. Doch darf ich Sie nicht zwingen, mit mir zu gehen; ich werde Ihren Willen achten. Also sagen Sie, wollen Sie noch einige Minuten bei mir bleiben, trotzdem es so spät ist?«
Sie zögerte mit der Antwort und sagte endlich:
»Der Vater wartet; ich muß heim.«
Da ließ er ihre Hand los und meinte:
»Das ist Ihr Wille und mein Urtheil. Leben Sie wohl, Fräulein Werner! Wir werden uns wohl so bald nicht wiedersehen. Es können eben nicht alle Menschen glücklich sein. Ich wäre es so gern gewesen. Gute Nacht!«
Er wendete sich um und ging.
Seine Stimme hatte so traurig geklungen. Sie fühlte, daß ihm seine Worte aus dem Herzen gekommen waren. Sie überlegte jetzt nicht, und sie dachte jetzt nicht; sie folgte jetzt nur der Eingebung ihres Herzens, als sie jetzt schnell ihm nacheilte und, ihre Hand an seinen Arm legend, sagte: »Bleiben Sie! Wir wollen nicht auseinander gehen, ohne uns wenigstens gehört zu haben.«
»Das ist recht! Ich danke Ihnen!«
Er drehte sich wieder um, und nun schritten sie langsam neben einander her. Er machte keinen Versuch, sich wieder ihres Armes zu bemächtigen; er trug seine Hände auf dem Rücken und sagte in künstlich kaltem Tone: »Ich wollte aufrichtig mit Ihnen sein, und ich will Wort halten auch auf die Gefahr hin, daß Sie mir es übel nehmen können. Ich besitze nämlich ein wenig Talent zum Zeichnen und beschäftige mich in den Musestunden, die mir bleiben, mit der Palette. Ich habe stets ein ausgesprochenes Gefühl für Harmonie, für Schönheit besessen, und – Sie sind schön.«
Er hielt inne. Vielleicht dachte er; daß sie etwas sagen werde; sie aber schwieg.
»Als ich Sie zum ersten Male am Fenster sah, konnte ich nur Ihr Gesicht und Ihren Kopf betrachten. Ihr Antlitz besitzt ein ganz eigenthümliches Gepräge. Ich finde kein passendes Wort dafür, ich möchte sagen, weltlich-madonnenhaft, aber das ist auch nicht das Richtige. Und als ich dann später Ihre ganze Gestalt sah, diese vollen, reizenden Formen, dann verdoppelte sich mein Interesse. Sie sind ein Bild reiner, keuscher Jungfräulichkeit und vermögen dennoch Gedanken zu erwecken, welche ganz gegentheilig sind. Sie hatten zunächst nur dieses eine Interesse erregt. Dann sah ich Sie in ihrem häuslichen Walten; ich beobachtete Ihren Fleiß, Ihre Aufopferung für die Ihrigen, und je mehr und je länger ich beobachtete, desto tiefer stieg mir das Interesse in das Herz hinab, bis es dieses ganz und gar erfüllte. Aus dem einfachen Interesse, aus der äußerlichen Theilnahme war eine tiefe, innige und treue Liebe geworden. Sie sind so still. Hören Sie mich?«
»Ja,« antwortete sie halblaut.
»Sie können sich denken, wie glücklich ich war, als ich Sie zum ersten Male nach Hause begleitete. Ich wollte zu Ihnen von meiner Liebe sprechen; das Wort lag und lag mir auf der Zunge, aber jenes Madonnenhafte in Ihrem Wesen ließ mich nicht dazu kommen. Ich wollte, ich hätte doch gesprochen, denn nun kam eine Zeit der Trauer. Glücklicher Weise war sie kurz.«
»Jener Abend im Theater?« fragte sie.
»Ja.«
»Ich war unschuldig!«
»Das wußte ich nicht, und darum wurde ich irre an Ihnen. Zudem war das gerade die Zeit, in welcher ich auszog und vom Fürsten engagirt wurde. Aber ich dachte doch an Sie und zog Erkundigungen ein. Da erfuhr ich, daß Sie gezwungen worden seien.«
»Ja, Gott weiß es!«
»Daß
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