Der verlorne Sohn
es!«
»Halten Sie mich nur nicht für dumm genug, Ihrem Schwur zu trauen! Zeigen Sie Ihre Taschen!«
»Alle Teufel! Sie behandeln mich wie einen Spitzbuben!«
»Der sind Sie auch, und zwar ein riesengroßer!«
»Ich lasse es mir aber nicht gefallen!«
»Ganz gut; aber ich habe Ihnen gesagt, daß ich Sie ersteche, wenn Sie nicht thun, was ich will.«
»Treiben Sie es nicht zu weit. Ich habe Ihnen zwar meine Freiheit zu verdanken, aber meine Dankbarkeit kann doch nicht so weit gehen, mich in dieser Weise von Ihnen tyrannisiren zu lassen. Das ist zu stark!«
»Fangen Sie ja nicht an, den Muthigen zu spielen. Ich lache Sie doch aus, Sie feige Memme, Sie!«
»Geben Sie mir mein Messer!«
»Sie sollen es haben, nämlich in den Leib! Ich werde Ihnen jetzt in alle Ihre Taschen greifen. Lassen Sie sich das nicht gefallen, so mache ich kurzen Proceß. Ich werde mich Ihrer Dummheit und Schlechtigkeit wegen doch nicht etwa gar hier ergreifen lassen. Also her mit der Tasche!«
Er griff nach der Brusttasche Seidelmann’s.
»Oho!« rief dieser. »Daraus wird nichts!«
»Gut! So fahre hin, alter Sünder!«
Er faßte ihn mit der Linken beim Genick und holte mit der Rechten zum Stoße aus. Der feige Schuster streckte vor Angst die Arme von sich und rief: »Halt ein! Ich lasse es mir gefallen!«
»Das war Ihr Glück! Einen Augenblick später wären Sie eine Leiche gewesen!«
Er untersuchte nun, ohne Widerstand zu finden, die Taschen des Schusters und brachte einen zweiten, größeren Beutel und eine Brieftasche zum Vorschein.
»Sapperment! Gold!« sagte er, als er den Beutel geöffnet hatte. »Sie hatten das gute Theil für sich erwählt; aber es wird leider von Ihnen genommen werden. Und was ist in der Brieftasche?«
Seidelmann bemerkte in sehr bescheidenem Tone:
»Sie steckte in einer Blechkapsel, damit sie nicht modern sollte.«
»Schön! Ah! Banknoten! Eins – zwei – fünf – acht – in dem Beutel und der Brieftasche zusammen können sich ungefähr sechstausend Gulden befinden. Nicht?«
»Es ist mehr.«
»Ah, da haben Sie also schon hier drin in dem Loch nachgezählt. Famos! Jetzt, mein bester Herr Seidelmann, will ich Ihnen zeigen, wie nachsichtig und rücksichtsvoll ich bin. Sie wollten vorhin gern zuerst hinaufsteigen und ich gab es nicht zu. Jetzt erlaube ich es Ihnen gern. Steigen Sie also voran.«
»Warum? Ich denke, wir wollen theilen.«
»Später! Wir haben ja noch Zeit! So sagten Sie vorhin, und ich sehe ein, daß Sie Recht haben.«
»Ich hoffe doch, daß Sie keine schlechte Absicht hegen.«
»O nein. Ich will nur mein Bestes.«
»Das Ihrige?«
»Ja. Nehmen Sie mir das übel?«
»Ich verlange, daß getheilt werde!«
»Und ich verlange, daß Sie jetzt augenblicklich voransteigen, sonst helfe ich mit dem Messer nach!«
»Hätte ich mich nur nicht mit Ihnen eingelassen!«
»So stäken Sie noch im Gefängnisse. Also vorwärts!«
Die Lauscher hatten jedes Wort verstanden. Jetzt flüsterte der alte Förster:
»Zwei schreckliche Schurken! Schnell hinaus!«
Sie zogen sich schleunigst hinter die Thür zurück, welche sie anlehnten. Es blieb dennoch eine Lücke, durch welche man blicken konnte.
»Kusch Dich, Pluto! Still, ganz still!« gebot Wunderlich seinem Hunde, und das verständige Thier streckte sich gehorsam auf den Boden nieder.
Jetzt in diesem Augenblicke stieg Seidelmann aus dem Mundloche. Er blieb hart an demselben stehen, bis auch der Apotheker heraus war. Dann sagte er:»Jetzt werden wir die Strickleiter wieder losbinden.«
»Warum?« lachte Horn.
»Wir brauchen sie doch nicht mehr.«
»Ich nicht, aber doch Sie!«
»Warum?«
»Sie können wieder hinabsteigen und sich von den noch unten befindlichen Gegenständen holen. Denn Sie dürfen nicht denken, daß Sie von den Banknoten oder von dem Golde auch nur das Geringste bekommen!«
»Was? Wie? Wir theilen doch!«
»Wir haben bereits getheilt!«
»Nein!«
»Ja. Das Geld ist mein, und Alles, was noch unten ist, gehört Ihnen. Das ist doch getheilt.«
»Mensch! Auf diese Weise wollen Sie mich betrügen?«
»Ich bezahle Sie nur mit gleicher Münze. Sie wollten mich um meine Hälfte bringen und mich noch obendrein da unten verschmachten lassen. Jetzt nun betrüge ich Sie um die Ihrige, lasse Ihnen aber das Leben. Ich handle also sehr mild gegen Sie.«
»Und Sie meinen im Ernst, daß ich mir das gefallen lasse?«
»Ganz im Ernst.«
»Nun, da täuschen Sie sich doch! Ich verlange meine Hälfte und werde nicht ruhen, bis ich
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