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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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giebt es nichts zu verwundern. Ich ziehe einen Baron natürlich einem armen Schlucker vor und bin überzeugt, daß ich an der Seite des Ersteren glücklich sein werde. Bitte nur, ihn morgen mitzubringen.«
    »Ja,« meinte der Oberst. »Darf ich Sie mit ihm vielleicht zum Diner bei mir sehen?«
    »Ich nehme diese Einladung an und hoffe, daß alles zum Glücke gehen werde.«
    Er verabschiedete sich und ging. Er war enttäuscht und mißmuthig. Er hatte es sich so schön gedacht, daß heute Fanny auf Bertram beharren und er dann morgen ihn als Baron von Helfenstein vorstellen werde. Jetzt hatte Fanny auf den Ersteren verzichtet. War sie nun morgen den Letzteren werth?
    Der Oberst stand, als der Fürst gegangen war, kopfschüttelnd vor seiner Tochter und sagte:
    »Kind, Du machst mir Sorgen. Ich habe Dich für treuer und verständiger gehalten! Mich dauert Bertram.«
    »Der darf Dich nicht dauern, Papa. Ich heirathe ihn ja!«
    »Wie – wo – was? Ihn willst Du heirathen?«
    »Ja.«
    »Und vorhin erklärtest Du Dich für den Baron!«
    »Auch jetzt noch!«
    »Alle Wetter! Du willst ihn heirathen?«
    »Ja.«
    »Also alle Beide?«
    »Alle Beide, lieber Papa!«
    Da fuhr er sich mit beiden Händen nach dem Kopfe und rief:
    »Das wird mir zu bunt! Mädchen, Du hast den Verstand verloren, entweder wegen der Salpetersäure, oder wegen Bertrams Liebeserklärung. Frau, schaffe sie schlafen, damit sie ausruht. Wenn es morgen früh nicht besser ist, lassen wir den Arzt kommen!«
    Ihre Mutter hatte nur sehr wenig gesprochen, da der Gegenstand der Unterhaltung ein zarter und Vieles ihr ein Räthsel gewesen war. Sie drang jetzt in die Tochter um Aufklärung über ihr unbegreifliches Verhalten. Diese aber gab den Eltern einen herzlichen Kuß und entfloh.
    »Höre,« sagte er, »sie hat wirklich einen Schwapps!«
    »Was Du denkst! Es steckt etwas dahinter.«
    »Der arme Bertram!«
    »Freilich! Was wäre sie jetzt ohne ihn! Er ist arm und bürgerlich; aber unter der Protection des Fürsten wird sich ihm eine Zukunft eröffnen. Ich könnte mich wirklich für ihn entschließen.«
    »Ich auch.«
    »Denke Dir, wie dankbar er uns für dieses Glück sein würde. Er würde uns auf den Händen tragen.«
    »Das würde er sicher. Aber, zerbrechen wir uns jetzt die Köpfe nicht. Es wird ja kommen, wie es kommen muß. Fanny ist ein selbständiger Character. Sie wird thun, was sie will, und das wird gut sein.«
    Er hatte recht. Fanny that, was sie wollte. Sie wartete nämlich, bis sie Alles zur Ruhe glaubte, dann nahm sie den Mantel und eine Kopfhülle um und stieg leise die Treppe hinab. Dort klopfte sie vorsichtig den Portier heraus, welcher noch nicht schlief.
    »Gnädiges Fräulein?« fragte er ganz erstaunt. »Sie wollen doch nicht etwa noch ausgehen?«
    »O ja. Ich muß. Machen Sie recht leise auf, und lassen Sie mich dann ebenso heimlich ein!«
    Draußen eilte sie zum nächsten Droschkenplatz und gab den Anfang der Siegesstraße als Ziel an. Dort angekommen, lohnte sie den Kutscher ab und eilte bis nach Nummer Zehn. Im oberen Zimmer, welches Bertram bewohnte, sah sie noch Licht. Ein Schatten bewegte sich regelmäßig hin und her. Er war also noch wach.
    »Es geht ihm wie mir,« flüsterte sie vor sich hin. »Er fühlt sich so glücklich, daß er nicht zu schlafen vermag. Ich wollte eigentlich zu ihm, aber das würde Papa Brandt ja bemerken und es also dem Fürsten sagen. Besser ist es, er kommt herab. Aber wie mache ich mich bemerklich? Mit ein wenig Sand, den ich an sein Fenster werfe.«
    Sie that es. Robert Bertram hörte das Klirren der Sandkörner an die Glasscheibe und öffnete.
    »Pst! Ganz leise!« erklang es da unten.
    »Wer ist da?« fragte er, als er erstaunt eine weibliche Gestalt erkannte.
    »Ich, Fanny.«
    »Mein Gott! Fanny! Was ist’s? Etwas Schlimmes?«
    »Nein, etwas sehr Gutes! Komm! Aber laß nicht merken, daß ich da bin.«
    Er verschwand vom Fenster und trat alsbald leise auf die Straße.
    »Sind Brandt’s noch wach?« fragte sie.
    »Nein. Ich hoffe, daß sie nichts bemerkt haben.«
    »Komm, promeniren wir. Hier dürfen wir nicht stehen bleiben.«
    Er verschloß die Thür und nahm dann ihren Arm in den seinigen. Das Herz wollte ihm vor Glück und Seligkeit zerspringen. Er fühlte an seinen Schläfen den Puls klopfen. Dieses herrliche, unvergleichliche Mädchen kam zu ihm, nach Mitternacht! Wie lieb mußte sie ihn haben. Er seufzte tief, tief auf. Sie hörte es und fragte:»Ist Dir Dein Herz so schwer?«
    »Nein, meine

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