Der verlorne Sohn
nein! Ich habe mich nicht zu einer Schuhmacherstochter gemacht. Freilich hatte ich auch keine dringende Veranlassung, Sie auf das Irrige Ihrer Meinung hinzuweisen, Herr Oberlieutenant.«
»Also lernten Sie auch nicht kochen?«
»Nein, gewiß nicht,« lachte sie.
»Was aber thaten Sie so regelmäßig im Hotel?«
»Ich besuchte eine befreundete Dame, welche dort logirt.«
»Aber da brauchten Sie doch nicht bis elf Uhr zu bleiben.«
»Das ist mir auch nie eingefallen.«
»Wie? Sie sind eher gegangen?«
»Stets nach genau zwei Stunden.«
»Himmelsakkerment! Und ich stehe täglich von zehn bis zwölf – – ah, na das gehört nicht hierher!«
Sein Vater hatte erstaunt zugehört. Er fragte jetzt:
»Du kennst also die Dame?«
»Ja, obgleich ich nicht gewußt habe, wie ihr Name lautet. Aber, Fräulein, noch Eins zur Aufklärung! Herr von Randau war doch heute bei mir. Warum thaten Sie so, als ob er Ihnen unbekannt sei?«
»Ich habe nicht so gethan.«
»O doch! Warum sprachen Sie nicht mit ihm?«
»Erstens hatte ich keine Zeit dazu und zweitens sprach er ja nicht mit mir. Sie nahmen mich sofort und gänzlich in Beschlag. Sie sprachen von Schustertochter, vom Laden, von der Werkstatt. Ich wußte gar nicht, was sie meinten. Und als ich es errieth, mußte ich schleunigst flüchten, um nicht durch mein Lachen Ihr Mißfallen zu erregen.«
»So hat also Randau Komödie mit mir gespielt?«
»Jedenfalls hat er sich einen Scherz gemacht.«
»Warte, Bursche! Die Lust dazu will ich Dir in Zukunft versalzen!«
Der ältere Hagenau bat um Aufklärung und erhielt sie, soweit dieselbe nöthig erschien. Dann saßen die Vier beisammen in ernsthafter Unterhaltung, abwechselnd mit scherzhafter Plauderei, bis die Sonne gesunken war. Dann schieden sie.
Zunächst schritten Vater und Sohn schweigend neben einander her; dann unterbrach der Erstere die Stille:
»Nicht wahr, ein reizendes Wesen?«
»Ein Engel.«
»Beinahe gefährlich!«
»Mehr als beinahe! Ich möchte ihren Bruder kennen, an dem sie mit solcher Liebe hängt.«
»Er war hier, und ich sprach mit ihm. Er nimmt Einen sofort gefangen, genauso wie sie.«
»Verfluchte Einrichtung.«
»Was?«
»Daß Einem grad Diejenigen gefallen, welche man nicht heirathen darf.«
»Leider! Wäre sie nur wenigstens reich. Ueber die bürgerliche Abkunft könnte man sich beruhigen. Man ist ja nicht mehr so penibel wie früher.«
»Nun bin ich neugierig auf diese Theodolinde.«
»Sie ist die aufgebrochene Rose gegen diese Hilda, welche noch völlig Knospe ist. Du darfst überzeugt sein, eine sehr schöne Frau zu bekommen.«
»Werde sie mir also morgen ansehen, sobald ihr Vater zurückgekehrt ist.« –
Dieser, nämlich der Herr von Tannenstein, war allerdings nach Schloß Hirschenau gefahren. Er war ein wohl gewachsener Mann mit einem fast ganz kahlen Schädel und trug sich auffallend jugendlich. Er schien ganz besonderen Werth auf Pretiosen zu legen. Er hatte an jedem seiner zehn Finger mehrere Ringe und über seine Weste hingen zwei höchst werthvolle Uhrketten.
Er war seit einiger Zeit auf Schloß Hirschenau bekannt, während er früher niemals dort gesehen worden war. Auch heute kam der Verwalter selbst herbeigeeilt, um ihm aus dem Wagen zu helfen. Der Mann hatte seinen Verwalterposten erst seit Kurzem inne. Es war jener Diener, von welchem der fromme Schuster dem Apotheker Horn erzählt hatte. Er war wenige Wochen vor der Festnahme des Baron Franz in seine jetzige Stelle eingerückt und haßte die Feinde seines Herrn auf das Grimmigste.
»Ist nichts Neues passirt?« fragte der Tannensteiner.
»O, sehr, sehr viel!« antwortete der Verwalter. »Bitte, heraufzukommen! Droben sind wir unbeobachtet. Da stehe ich zu Diensten.«
Er führte ihn eine Treppe hoch in einen Ecksalon, setzte ihm einige Erfrischungen vor und stelle sich dann zur Verfügung.
»Die Zeitungen schweigen sich aus,« sagte Herr von Tannenstein. »Seit der alte Schmied sich aus dem Fenster stürzte, hat man nichts Neues mehr gehört. Es soll mich verlangen, wie es noch enden wird.«
»Unglücklich für den armen Herrn. Er soll Alles, Alles gestanden haben.«
»Dummkopf!«
»O, bitte! Die Arme waren ihm ausgedreht; es kam eine Entzündung hinzu, welche ihm wahnsinnige Schmerzen bereitete, die ihn zum Geständnisse trieben.«
»So ist er verloren.«
»Er war nun auf alle Fälle verloren.«
»Nein. Hätte er fortgeleugnet, so wäre Zeit gewonnen worden. Man hätte ihn befreien oder die schlimmsten
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