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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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verstecken, sondern wir müssen hinauf.«
    »Hinauf? Das wäre zu schwer.«
    »Ja, zum Erklettern ist der Baum viel zu stark. Er muß über tausend Jahre alt sein. Aber mit Hilfe eines Strickes, den wir über einen Ast werfen, wird es gehen. Und ein Strick wird wohl zu haben sein.«
    »Ja. Und dann sitzen wir hoch da oben und hören kein Wort von dem, was unten gesprochen wird.«
    »Das müssen wir freilich gewärtig sein. Der unterste Ast befindet sich wenigstens zwölf Ellen über der Erde.«
    »Warum hinaufklettern? Das ist ja gar nicht nöthig. Die Linde ist hohl.«
    »Wirklich? Das habe ich gar nicht bemerkt.«
    »Weil Sie an der anderen Seite vorübergingen. An der meinigen sah ich den Spalt, der so breit ist, daß ich ganz gut hineinkriechen kann.«
    »Da werden wir sehen, ob sich diese Gelegenheit für uns benutzen lassen wird. Jetzt nun wollen wir uns einmal das Schloß ansehen.«
    Sie umstrichen dasselbe von allen Seiten, bis sie ganz genau orientirt waren. Dabei erblickten sie auch den Thurm, den der Einsiedler Winter bewohnte. Sie näherten sich ihm, um ihn zu betrachten. Dabei kamen sie über eine Erhöhung, von welcher aus man einen ziemlich weiten Rundblick hatte. Da blieb Bertram stehen und sagte: »Drehen Sie sich nicht um, sondern thun Sie so, als ob Sie den alten Thurm studirten!«
    »Schön! Aber warum?«
    »Schielen Sie einmal da rechts hinüber. Sehen Sie die drei neben einander stehenden Kirschbäume?«
    »Ja. Ah, dort kauert Einer an der Erde.«
    »Ja.«
    »Finden Sie dabei etwas Auffälliges?«
    »An der Gegenwart dieses Mannes an und für sich nicht, aber die Art und Weise, wie er sich niederduckte, war höchst merkwürdig. Es sah ganz so aus, als ob er sich verbergen wolle.«
    »Ach so! Er hat ein böses Gewissen?«
    »Er kam dort den Feldrain herauf, gebückt und schleichend. Da bemerkte er uns Beide. Sofort machte er einige rasche Sprünge, um die Bäume zu erreichen, und kauerte sich hinter dieselben nieder.«
    »Das ist freilich auffällig. Jetzt hat er sich ganz niedergelegt, so daß wir ihn gar nicht sehen können. Wollen wir ihn uns aus der Nähe betrachten?«
    »Sie meinen, daß wir hingehen?«
    »Nein. In diesem Falle würde er ausreißen, falls er Grund hat, die Menschen zu fliehen. Nein. Wir umgehen die Stelle im weiten Bogen, so daß er auch unsere Gesichter nicht erkennen kann, und treten dann in den Wald, dort wo der schmale Weg in denselben führt. Anstatt aber diesem Weg zu folgen, kehren wir rasch hinter den Bäumen nach der Stelle um, an welcher der Feldrain an den Waldesrand stößt. Dort kommt der Mann ganz sicher vorüber. Sind Sie einverstanden?«
    »Ganz natürlich.«
    »So kommen Sie!«
    Sie bewegten sich in der angegebenen Weise vorwärts, bis sie den Wald erreichten, hinter dessen ersten Bäumen sie dann schnell zurückeilten. An der Stelle angekommen, wo der Rain auf die Büsche stieß und sich unter denselben verlor, kam ihnen wieder der Mann zu Gesicht.
    »Sehen Sie, daß ich Recht hatte,« sagte Holm. »Eben jetzt steht er von der Erde auf.«
    »Aber wie! Wie ein Spion, den jeder Blick tödten kann. Dieser Mann hat wirklich ein böses Gewissen.«
    »Wir werden uns ein wenig um ihn bekümmern. Sehen Sie, daß er gerade auf dem Rain auf uns zukommt? Legen wir uns hier hinter das Haselgebüsch; da können wir ihn genau sehen und ihm doch so bequem nach rechts oder links ausweichen, daß er uns gar nicht zu bemerken vermag.«
    Sie thaten das. Der Mann kam langsam näher. Es war der Goldarbeiter Jacob Simeon. Am Waldesrande angekommen, blieb er überlegend stehen. Er bewegte die Lippen, er schien mit sich selbst zu sprechen. Langsam und sinnend schritt er weiter. Im Vorübergehen hörten ihn die Beiden sagen: »Nein, mich fängt er nicht. Ich vergrabe Alles, Alles, bis ich weiß, woran ich mit ihm bin. Dann –«
    Mehr war nicht zu hören.
    »Haben Sie verstanden?« fragte Holm.
    »Ja. Er will etwas vergraben.«
    »Vielleicht etwas für uns Wichtiges. Wir müssen ihm unbedingt folgen.«
    »Ja, aber vorsichtig! Warten wir. Dort ist er stehen geblieben. Er beobachtet das Schloß. Er kommt mir außerordentlich bekannt vor. Den muß ich in der Residenz gesehen haben.«
    »Und mir kommt er nicht nur bekannt vor, sondern ich kenne ihn wirklich. Erst jetzt fällt es mir ein. Ich weiß, daß er ein jüdischer Goldarbeiter ist, nur seinen Namen wußte ich nicht. Jedenfalls ist es sicher, daß er der gesuchte Jacob Simeon ist.«
    »Da machen wir einen guten Fang. Wir sollten

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