Der verlorne Sohn
lauschten. Es wurde so laut gesprochen, daß ihnen keine Sylbe entging. Soeben fragte der Goldarbeiter:»Haben Sie sich denn überlegt, wie es anzufangen ist? Die Kette und die Kinderwäsche dieses kleinen Robert von Helfenstein haben wir glücklich umgetauscht. Der Staatsanwalt hat keine Ahnung, daß meine Tochter ihm die Schlüssel zum Gerichtsgebäude und zu den Actenschränken zweimal entführt hat. Nun gilt es nur noch, eine Fabel zu erfinden, durch welche Sie beweisen, daß der wirkliche Robert von Helfenstein Ihnen und keinem Anderen anvertraut worden ist.«
»Das lassen Sie unsere Sorge sein, Herr Simeon! Sie haben zunächst für sich zu sorgen.«
»Aber ich könnte Ihnen ja doch behilflich sein.«
»Sie nicht. Als Zeuge können Sie uns nicht dienen, da Sie sich ja nicht sehen lassen dürfen. Sie müssen froh sein, wenn Ihr hiesiges Versteck unentdeckt bleibt, so daß sie mit Frau und Tochter das Land verlassen können, sobald Ihre Tochter ihren Dienst beim Staatsanwalt verlassen hat. Wir werden schon für uns selbst sorgen. Doch, da steht Essen. Sie haben einen so weiten Marsch gehabt und werden Hunger haben.«
»Ich danke. Appetit habe ich nicht. Ich hatte mich mit Mundvorrath versehen.«
»So trinken Sie wenigstens ein Glas Wein. Theodolinde, da drüben steht die Flasche und dabei sind die Gläser. Bitte, schenke ein!«
Man hörte Gläser klingen. Dann sagte der Freiherr:
»So! Greifen Sie zu! Prosit!«
Es entstand eine Pause. Der Goldarbeiter antwortete nicht sogleich. Die Lauscher konnten nicht sehen, daß er sein Glas, welches er von der Dame erhalten hatte, mißtrauisch prüfend gegen das Licht hielt.
»Was haben Sie?« fragte der Freiherr.
»Verdacht,« antwortete der Gefragte mit Betonung.
»Verdacht? Ich verstehe Sie nicht.«
»Dieser Wein kommt mir sehr eigenthümlich vor.«
»Wieso?«
»Es ist Etwas drin.«
»Vielleicht ein Stückchen vom Korke?«
»O nein. Das ist etwas Anderes!«
»Was soll es sein?«
»Irgendein Pulver.«
»Was fällt Ihnen ein! Ich werde doch meinen guten Wein nicht etwa mit einem Zuckerpulver verbessern suchen!«
»Das nicht. Aber, hm! Wollen wir nicht die Gläser vertauschen? Trinken Sie aus dem meinigen!«
»Ich begreife Sie nicht.«
»Aber ich Sie. Warum drehte sich das Fräulein so eigenthümlich um, als es einschenkte? Kommen Sie, tauschen wir um!«
»Fällt mir nicht ein! Das ist mein Glas, aus welchem ich zu trinken gewohnt bin.«
»Nun, so trinke ich gar nicht!«
»Aber ich verstehe gar nicht, was Sie meinen!«
»Soll ich es Ihnen erklären?«
»Ich muß Sie allerdings sehr darum bitten!«
Jetzt raunte Bertram Holm zu:
»Sollte das der Schlaftrunk sein, welchen der Freiherr von Reitzenhain mitgenommen hat?«
»Möglich. Aber dann ist dieser Goldarbeiter wirklich ein sehr schlauer Kerl. Horchen wir!«
Jacob Simeon sagte:
»Da, vergleichen Sie einmal die beiden Gläser! Das meinige ist viel trüber als das Ihrige. Es ist irgend etwas im Weine, was nicht hinein gehört.«
»Das will ich Ihnen erklären,« versuchte Theodolinde seinen Argwohn zu zerstreuen. »Es ist unser gewöhnlicher Hauswein. Wir Beide sind ihn gewöhnt, für Fremde aber ist er ein wenig zu sauer. Darum habe ich Ihnen Zucker hinein gethan.«
»Zucker? Nun, bitte, zeigen Sie mir einmal das Gefäß, in welchem sich der Zucker befunden hat!«
»Es steht in der Küche.«
»Ah, so haben Sie den Zucker bereits in der Küche in das Glas gethan?«
»Ja.«
»So sind Sie also der Ansicht, daß ich überhaupt nur dieses eine Glas trinke. Das ist auffällig. Ueberhaupt pflegt man den Zucker, wenn er so nöthig sein sollte, dem Gaste vorzusetzen, damit dieser nach Belieben nehmen kann. Ich danke!«
Da sagte der Freiherr in zornigem Tone:
»Herr Simeon, was Sie da vorbringen, ist höchst beleidigend für mich!«
»Und was Sie mir da vorsetzen, ist höchst gefährlich für mich. Ein Schluck wird mich nicht gleich umbringen. Ich will einmal kosten.«
Er nahm das Glas an die Lippen und probirte.
»Ah!« meinte er, »das ist Zucker?«
»Ja, natürlich!«
»Seit wann schmeckt Zucker bitter? Diesen Geschmack kenne ich. Er schmeckt ganz wie ein Schlafpulver, wie ein Schlaftrunk. Ich möchte behaupten, daß sich eine ziemliche Dosis Opium oder Morphium in dem Weine befindet.«
»Herr, sind Sie des Teufels?«
»Nein, mein werther Herr; aber vorsichtig bin ich.«
»Was könnte uns veranlassen, Ihnen Morphium in dem Wein zu thun?«
»Die Absicht, mich einschlafen zu
Weitere Kostenlose Bücher