Der verlorne Sohn
ihn aus allen Himmeln gerissen. Er fühlte eine Hölle von Sorge, Angst, Wuth und Qual in seiner Brust.
Er hatte die drei Männer bis an die Treppe begleitet, um sich zu überzeugen, ob sie das Palais auch wirklich verlassen würden. Dann, wieder umkehrend, fühlte er nach dem kleinen Täschchen seiner Weste.
»Die Tinktur ist noch da,« murmelte er. »Der Rest von dem, was der Riese bekommen hat, wird hinreichen, auch bei dieser Diebin dieselbe Wirkung hervorzubringen.«
Er fand die Baronin ganz kraftlos noch in demselben Sessel sitzen, in welchem sie die Bedingungen des Fürsten angehört hatte. Sie war todtesbleich und hielt die Augen geschlossen. War sie etwa zu feig, als daß sie der ihr drohenden Gefahr mit offenem Auge hätte entgegenblicken können?
Der Baron zog die Portièren zu, damit das, was im Zimmer gesprochen wurde, nicht hinausdringen solle. Dann verschlang er die Arme über die Brust und schritt langsam im Zimmer auf und ab.
Er wußte kaum, wie er beginnen solle. Es wirbelte ihm im Kopfe, und vor dem Ohre war es ihm, als ob er das Summen von Millionen von Insecten vernehme. Er wollte nicht eher zu sprechen anfangen, als bis er sich über das zu Sagende klar geworden war.
Die Baronin behielt die angenommene Stellung bei. Vielleicht zog sie nur deshalb vor, die Augen nicht zu öffnen, weil sie entschlossen war, nicht das erste Wort zu sprechen, oder weil sie nicht durch ihre Blicke verrathen wollte, was jetzt in ihrem Inneren vorging.
Endlich blieb er vor ihr stehen, musterte mit einem stechenden, haßerfüllten Blicke ihre weich in den Sessel hingegossene Gestalt und stieß in tief grollendem Tone hervor:»Frau Baronin!«
Sie antwortete nicht.
»Frau Baronin!« wiederholte er.
Da öffnete sie die Lider. Ihre langen, seidenen Wimpern hoben sich, und ihr Auge richtete sich mit einer unendlichen Gleichgiltigkeit auf ihn, mit einer Gleichgiltigkeit, welche nur das Product einer wahrhaft bewundernswerthen Verstellung und Selbstbeherrschung sein konnte. Dies erhöhte seinen Grimm.
»Diebin!« donnerte er sie an.
»Spitzbube!« antwortete sie gähnend, als ob sie sich im höchsten Grade gelangweilt fühle.
Er stampfte mit dem Fuße und rief:
»Diamantenräuberin!«
»Doppelter Mörder!«
Diese Entgegnung raubte ihm den letzten Rest seiner Gewalt über sich selbst. Er erhob den Arm und fragte:
»Weib, soll ich Dich niederschlagen?«
Auch das schien sie nicht aus der Fassung zu bringen; aber in ihrer Lage verharrte sie nun doch nicht mehr, vielmehr schnellte sie mit einer blitzesschnellen Bewegung aus ihrem Sessel empor und wendete sich zur Seite, um aus dem Bereiche seines Armes zu kommen. Auch ihre scheinbare Gleichgiltigkeit hatte sie aufgegeben. Ihre erbleichten Wangen begannen sich zu röthen; um ihre fast farblos gewesenen Lippen zuckte es, und aus ihren Augen blitzte ein Haß, der demjenigen ganz gleich kam, mit welchem er sie vorhin betrachtet hatte.
»Schlagen? Ein Weib schlagen?« fragte sie. »Das ist noch das Letzte und Einzige, was Dir fehlt: die flegelhafte Rohheit eines ungeschliffenen Menschen! Ich werde der Dienerschaft klingeln, um mich gegen derartige Angriffe zu verwahren!«
»Thue das! Die Diener sollen dann erfahren, weshalb ich Dich in dieser Weise zu behandeln habe!«
»Sie werden auch das Andere erfahren, nämlich, daß ich mich auf keinen Fall vor Dir fürchte. Du hast vor mir nichts voraus als Deine Muskelkraft und selbst diese ist nicht im Stande, mich bange zu machen.«
»Das bin ich überzeugt. Ein ehrloses Weib fürchtet selbst nicht die Schande, geschlagen zu werden!«
»Pah! Rede doch ja nicht von Ehrlosigkeit! Oder willst etwa Du, Du, Du mit Ehre prahlen?«
»Wer kann es wagen, meine Ehre anzutasten?«
»Ich!«
»Du, ja Du allein, aber kein einziger anderer Mensch!«
»Ist das nicht genug?«
»Nichts, gar nichts ist es! Die Ehre ist ein öffentliches Gut; sie kann nur öffentlich angegriffen und öffentlich verloren werden!«
»Nun, so siehe zu, daß Dir Deine große Ehrenhaftigkeit nicht heute noch geraubt wird!«
»Willst etwa Du mich ehrlos machen?«
Sie zuckte die Achseln und antwortete:
»Das soll ganz auf Dich selbst ankommen. Willst Du über die vorliegende Angelegenheit mit mir verhandeln, nun wohl, ich bin bereit dazu, aber ich verlange vor allen Dingen, daß Du Dich dabei nicht anders und besser aufspielst, als ich Dich kenne!«
»Ah!« antwortete er. »Als was kennst Du mich?«
»Als Dieb, Schmuggler, Betrüger und Mörder!«
Er
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