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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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sondern nur ein Loch in die Luft schießen kann. Da man aber auf alle Fälle gefaßt sein muß, so werde ich heute mein Testament aufsetzen und außerdem für Sie eine Schrift verfassen, welche ich Ihnen noch heute Abend gebe. Sie wird versiegelt sein und Alles enthalten, was Sie im Falle, daß ich getödtet werde, zu thun haben. Sie öffnen sie natürlich erst dann, wenn Sie ganz sicher sind, daß ich todt bin.« –
    Am anderen Morgen fuhr ein Schlitten aus der Residenz, in welchem der Fürst, Bertram, ein Arzt und noch ein Herr, der Unpartheiische, saßen. Diese vier Personen stiegen aus, als sie das wohl eine halbe Stunde von der Stadt gelegene Birkenthal erreichten. Dort stand bereits ein anderer, leerer Schlitten.
    »Ah!« sagte der Fürst. »Der Baron hat sich zeitig eingefunden. Er will zeigen, daß er tapfer ist. Kommen Sie, meine Herren.«
    Bertram war weder bleich, noch zeigte sich sonst Etwas an ihm, welches hätte schließen lassen, daß er Furcht oder etwas Ähnliches fühle. Er nahm ein kleines Packetchen aus der Tasche, reichte es dem Fürsten und sagte:
    »Durchlaucht, sollte mir etwas Menschliches passiren, so bitte ich, dieses Päckchen zu öffnen. Es enthält nebst meinen letzten Wünschen einen Gegenstand, mit dessen Hilfe ich meine mir jetzt noch unbekannte Abstammung zu ergründen hoffte.«
    Sie gingen den Fußspuren nach, welche im Schnee zu sehen waren. Die beiden Kutscher, welche zurückblieben, wußten nun, um was es sich handle. Sie sprachen nicht mit einander, da ihre Herren sich ja als Feinde gegenüberstanden; aber sie lauschten.
    Nach vielleicht zehn Minuten fielen zwei Schüsse, und dann nach einem kleinen Weilchen noch zwei. Dann kamen drei Personen zurück – Bertram, der Unpartheiische und der Fürst. Dieser Letztere wendete sich an den Kutscher des Barons:
    »Fahren Sie unseren Spuren nach. Sie werden gebraucht. Ihr Herr ist verwundet worden!«
    Die Drei stiegen ein und fuhren nach der Stadt zurück. Der Unpartheiische wohnte in einer der ersten Straßen. Er stieg vor seiner Wohnung aus und verabschiedete sich. Indem sich dann der Schlitten in Bewegung setzte, sagte der Fürst zu Bertram:
    »Mein lieber, junger Freund, ich muß Ihnen das Geständniß machen, daß ich ein wenig indiscret gewesen bin. Ich war gestern bei der Baronesse Alma von Helfenstein. Sie interessirt sich für Sie und ist meine Freundin. Ich erzählte ihr von dem Duell, und sie wird um den Ausgang desselben besorgt sein. Fahren wir zu ihr, um ihr zu zeigen, daß Sie Sieger sind!«
    Dies geschah. Als der Fürst sich melden ließ, kam Alma ihnen bis in das Vorzimmer entgegen. Als sie Bertram erblickte, sagte sie im Tone freudiger Genugthuung:
    »Gott sei Dank! Herr Bertram ist unverwundet?«
    »Ja,« antwortete der Fürst. »Er hat sich wie ein alter Soldat benommen. Der Baron aber hat einen Schuß in den Oberarm bekommen.«
    »So treten Sie ein, und erzählen Sie!«
    Robert Bertram sah im Laufe der Unterhaltung, daß er die aufrichtigste Theilnahme der Baronesse besaß. Da schien sich der Fürst zu besinnen. Er griff in die Tasche und gab Bertram das Packet zurück.
    »Hier, mein Lieber,« sagte er. »Das ist nun glücklicher Weise nicht mehr nothwendig. Aber, sprachen Sie nicht von einem Gegenstande, welcher mit Ihrer Abstammung in Beziehung steht?«
    »Ja. Ich wurde als Kind auf der Drehscheibe des Waisenhauses abgegeben. Man fand bei mir einen Zettel mit der Bemerkung, daß ich auf den Namen Robert getauft sei, und dabei eine Kette von Gold. Den Zettel behielt man, als mein Pflegevater sich meiner annahm, im Waisenhause bei den Acten zurück; die Kette aber gab man mir mit.«
    »Eine goldene Kette?« fragte da Alma. »Robert heißen Sie? Gott! Beschreiben Sie mir die Kette!«
    »Sie ist sehr dünn. An ihr ist ein Herz befestigt mit einer Freiherrnkrone und den Buchstaben
R.v.H.
darunter.«
    Da stieß Alma einen Schrei aus. Sie sprang auf und rief:
    »Herr Gott! Wäre es möglich! Sie haben die Kette in diesem Packetchen? Zeigen Sie, zeigen Sie!«
    »Ja, öffnen Sie! Schnell, schnell!« sagte auch der Fürst, welcher ganz dieselbe Aufregung zeigte, wie die Baronesse.
    Bertram konnte die Beiden nicht begreifen. Er öffnete den kleinen Karton, nahm die Kette hervor und gab sie ihnen. Beide betrachteten sie und machten dann gleiche enttäuschte Gesichter.
    »Sie irren,« sagte der Fürst. »Das ist keine Freiherrn-, sondern eine Phantasiekrone. Und hier steht nicht
R.v.H.
, sondern
R.u.H.
Das sind jedenfalls die

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