Der verlorne Sohn
verlasse mich auf Ihr Wort. Wenn Sie jedoch in zehn Minuten nicht da sind, so muß ich Sie holen.«
Er ging und begab sich, ohne die Wohnstube nochmals zu betreten, zum Bürgermeister. Den Ring nahm er natürlich mit. Bei dem genannten Stadtoberhaupte saß Fritz Seidelmann, der die Rückkehr des Gensd’armes erwartete.
»Nun,« fragte er ihn, »haben Sie den Ring gefunden?«
»Ja, wenn es dieser ist. Sehen Sie sich ihn an!«
Seidelmann betrachtete ihn und sagte:
»Er ist es. Herr Bürgermeister, ich erwarte, daß hier die ganze Strenge des Gesetzes in Anwendung kommt!«
Der Genannte verbeugte sich höflichst und antwortete:
»Sehr wohl, Verehrtester! Es ist traurig, wenn man nicht einmal seines Gesindes sicher ist. Verlassen Sie sich auf mich!«
»Warum haben Sie das Mädchen und den Vater denn nicht sogleich arretirt?« wendete sich Fritz an den Gensd’arm.
»Weil ich es nicht für nothwendig hielt. Diese Leute werden in fünf Minuten hier sein.«
»Es war Ihre Pflicht, sich ihrer zu versichern!«
»Ich glaube, meine Pflicht zu kennen, Herr Seidelmann. Ich erfülle dieselbe; mehr aber dürfen Sie nicht verlangen!«
»Pah! Mehr habe ich auch gar nicht verlangt. Adieu, Herr Bürgermeister. Darf ich vielleicht hoffen, Sie heute zum Souper bei uns zu empfangen?«
»Gewiß! Ich werde mich pünktlich einstellen. Adieu!«
Fritz ging in der Ueberzeugung, daß ihm sein Coup gelungen sei. Zu Hause angekommen, begab er sich sogleich zu seinem Oheim, welcher auf ihn wartete.
»Nun?« fragte der Heilige neugierig. »Wie steht es?«
»Der Gensd’arm hat gesucht und den Ring gefunden. Nun werden der Schreiber und sein sauberes Mädchen vom Bürgermeister vernommen.«
»So hast Du gewonnen! Mein Rath hat Dir Hilfe in der Noth gebracht. Jetzt aber laß mich allein! Ich habe noch an meiner heutigen Rede zu memoriren.«
»Worüber sprichst Du?«
»Ueber Gott den Herrn als Helfer in der Noth.«
»Famos! Deine Hilfe ist mir ebenso lieb!« –
Heute am Morgen hatte der Förster sich mit seinem Gaste in den Wald begeben, um ihm den Ort zu zeigen, an welchem die Leiche des Grenzbeamten gelegen hatte. Bei den drei Tannen angekommen, erklärte er ihm den Thatbestand. Arndt folgte seiner Auseinandersetzung aufmerksam und fragte ihn dann:
»Hat sich eine Spur gefunden, daß ein Kampf dem Morde vorangegangen ist?«
»Nein.«
»Oder daß die Leiche vielleicht hierher geschleppt worden ist?«
»Auch nicht.«
»Hm! Sollte der Grenzer meuchlings erschossen worden sein? Dann hätte der Mörder im Hinterhalte gelegen, und das ist bei dem hiesigen Terrain nicht gut möglich. Hier die einzelnen drei Tannen, drüben die freie Lichtung, links die Blöße, und an den beiden anderen Seiten der Wald mit den weit auseinander stehenden Stämmen. Wo sollte sich denn da ein Versteck finden?«
»Hinter jedem Baume.«
»Dann müßte der Mörder ganz genau gewußt haben, wann und woher sein Opfer kommen werde. Das ist aber nicht möglich, da hier kein Weg vorüberführt. Wieweit haben sich die Nachforschungen der Gerichtscommission über die Oertlichkeit erstreckt?«
»Bis dort hinüber zu den einzelnen Sträuchern.«
»So hat man allerdings angenommen, daß der Mord aus dem Hinterhalte geschehen sei; ich aber bin anderer Meinung. Sehen Sie! Hier hat die Kugel, nachdem sie das Opfer traf, den Stamm der Tanne gestreift.«
Er deutete dabei nach dem Baume. Der Förster betrachtete die Stelle und sagte:
»Bei Gott, es ist wahr! Das ist uns Allen entgangen.«
»Gut! Hier hat der Todte gelegen; hier ist die Kugelspur am Baume. In gerader Richtung von Beiden hat also der Schütze gestanden. Gehen wir in dieser Richtung retour! Bitte, Herr Vetter, folgen Sie mir!«
Der Förster konnte nicht begreifen, was Arndt beabsichtigte, doch schritt er hinter ihm her. Der Letztere ging langsam vorwärts und musterte alle Einzelheiten des Terrains genau.
»Was suchen Sie denn?« fragte Wunderlich.
»Nichts Bestimmtes. Kommen Sie nur!«
So schritten Sie mehrere Hundert Schritte in gerader Richtung weiter. Da plötzlich that Arndt einen raschen Sprung vorwärts, bückte sich und hob Etwas auf. Der Förster eilte herbei.
»Was giebt’s? Was ist’s?« fragte er.
»Hier, sehen Sie!«
Er hielt ihm ein dreieckiges Stückchen weiße Leinwand entgegen, welches er sich genau betrachtet hatte.
»Ein Fetzen Leinwand!« meinte Wunderlich enttäuscht. »Was soll das helfen? Solche Lappen liegen überall herum!«
»Oh, denken Sie nicht gering von
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