Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
diesem Funde! Betrachten Sie den Fetzen genauer. Was bemerken Sie?«
    »Nichts, als daß zwei Seiten einen Saum haben, und da, ah, wahrhaftig, da ist ein eingestickter Buchstabe, ein T.!«
    »Richtig! Dieses Stück Leinen ist der abgerissene Zipfel eines, eines – nun, wovon?«
    »Eines Betttuches.«
    »Das ist auch meine Meinung. Wie aber kommen Betttücher in den Wald? Findet man den Zipfel eines Taschentuches, so läßt sich das leicht und auf vielfache Weise erklären; aber eines Betttuches? Hm! Was denken Sie darüber?«
    »Ich denke gar nichts. Ich bin ein Forstmann, aber kein Polizist.«
    »Aber Sie müssen doch eine Ahnung haben, wozu jetzt, im Winter und des Nachts, ein Betttuch zu gebrauchen ist?«
    »Habe keine Ahnung davon!«
    »Nun, rings ist tiefer Schnee. Den Paschern muß daran liegen, unbemerkt zu bleiben. Dunkle Kleidung sticht vom Schnee ab. Was liegt da näher, als daß man, um die Grenzer zu täuschen, ein Betttuch über nimmt. Dann ist man des Nachts vom Schnee nicht zu unterscheiden.«
    »Sakkerment! Das leuchtet mir ein!«
    »Ich kann Ihnen sogar gestehen, daß ich ein Betttuch mitgebracht habe, um auf meinen beabsichtigten Streifereien mich seiner ganz zu demselben Zwecke zu bedienen. Ah, kommen Sie hier diese drei Schritte weiter! Da ragt ein Stumpf aus dem Schnee hervor, ein abgebrochener Wacholderknorren. Und sehen Sie, da hängen zwei weiße Fädchen Leinen daran! Was ist daraus zu schließen?«
    »Die Ecke ist hier an dem Knorren abgerissen worden.«
    »Allerdings. Nun ist die Sache klar. Es ist ganz so, wie ich vermuthete. Der Pascher wurde ertappt und entfloh, von dem Grenzbeamten hart verfolgt. Er war mit einem Betttuche umhüllt, mit dem er hier hängenblieb. Er riß sich diese Ecke hier los und eilte weiter. Drüben bei den Tannen sah er ein, daß er nicht entkommen werde. Er hielt also inne, drehte sich um und schoß seinen Verfolger nieder.«
    »So ist es, so ist es! Einen Hinterhalt hat es nicht gegeben.«
    »Die Unterbeamten des Ermordeten müssen vernommen werden. Sie können angeben, welchen Tagesbefehl sie von ihm erhalten haben. Sie werden auch wissen, ob er hier vorüberkommen mußte, um die Posten zu revidiren.«
    »Was aber hat man davon?«
    »Wir haben Zweierlei gewonnen. Erstens: Glauben Sie, daß Jemand sich ein fremdes Betttuch borgt, um es in der angegebenen Weise zu gebrauchen?«
    »Nein. Es ist sein Eigenthum gewesen.«
    »Und da der Buchstabe T. darauf steht, was folgt daraus?«
    »Daß sein Name mit diesem Buchstaben anfängt.«
    »Diese Entdeckung ist das Erste, was wir gewinnen. Uebrigens sind es jedenfalls zwei Buchstaben gewesen. Der Anfangsbuchstabe des Vornamens ist auch mit in das Tuch gestickt gewesen. Der Riß aber ist zwischen den beiden Buchstaben hindurchgegangen.«
    »Und was ist das Zweite, was wir gewinnen?«
    »Da muß ich Sie vor allen Dingen fragen: Wohin flieht Einer, der verfolgt wird?«
    »Dumme Frage! Dahin natürlich, wo er glaubt, sicher und geborgen zu sein.«
    »Das ist richtig! Er flieht nach einer Zufluchtsstätte. Der Mörder ist in gerader Richtung von hier nach den Tannen geflohen. In dieser Richtung liegt die Zufluchtsstätte, welche er gesucht hat. Wenn wir dieser schnurgeraden Linie folgen, müssen wir wenigstens in die Nähe des Ortes gelangen, an dem er sich hat verbergen wollen.«
    »Herr Vetter, Herr Vetter! Sie sind ein verdammt spitziger und findiger Kopf. Mir würden solche Schlüsse niemals einfallen.«
    »Das ist Geschäfts-und Uebungssache. Wollen wir unsere Untersuchung fortsetzen und der angegebenen Richtung folgen?«
    »Gern, wenn Sie wollen!«
    »So kommen Sie!«
    Sie kehrten wieder zu den Tannen zurück. Von hier aus folgten sie derselben Linie weiter, durch den Wald, über die Straße, welche aus dem Städtchen nach dem Forsthause führte, quer hinüber, und dann wieder in den Wald hinein. Arndt ging dabei sehr langsam und beobachtete jeden, auch den kleinsten Gegenstand genau. So dauerte es über eine Viertelstunde. Sie näherten sich dem gegenüber nach dem Städtchen zu gelegenen Waldessaume und kamen an eine hohe Eiche, welche einige hundert Jahre alt sein konnte. Schon wollte Arndt an ihr vorüber; da blieb er aber plötzlich stehen und musterte den Boden, welcher wohl eine Elle hoch mit Schnee bedeckt war.
    »Was giebt’s?« fragte der Förster.
    »Sehen Sie her! Sehen Sie die mit neuem Schnee gefüllten Löcher im alten Schnee?«
    »Natürlich! Sie sind ja zahlreich genug!«
    »Was für Löcher mögen das

Weitere Kostenlose Bücher