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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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wissen lassen.
    »Was denn, Brödchen?« fragte diese.
    »Ja, zwei.«
    »Und die Kleinen?«
    »Haben auch jedes zwei erhalten.«
    Auch das war nicht wahr. Die Kinder hatten den harten Rest eines Brodes trocken verzehrt; Gustel aber hatte für sich keinen Bissen behalten.
    »Weißt Du nicht, ob der Vater mit dem Arzte gesprochen hat?«
    »Ich habe gehört, daß der Doctor vielleicht heute noch kommen wird, liebe Mutter.«
    »Gott sei Dank! Dann werde ich gesund!«
    Da kamen Schritte die Stiege herauf, und der Schreiber trat ein. Er ging zu der Kranken, ergriff ihre Hand und fragte:
    »Wie befindest Du Dich, Mütterchen?«
    »Ich danke Dir! Ich bin recht schwach, und das Athmen fällt mir heute noch schwerer als gestern. Kommt der Doctor?«
    »Morgen früh!«
    Er wendete den Kopf zur Seite, damit sie ihm nicht ansehen möge, daß er ihr zu Liebe eine Lüge gesagt habe.
    »Morgen erst! Mein Gott, wie hartherzig doch die Menschen sind! Konnte er denn nicht bereits heute kommen? Hast Du mit Seidelmann gesprochen?«
    »Ja.«
    »Was sagte er wegen des Gehaltes?«
    »Ich bekomme zehn – zehn Gulden mehr des Monats.«
    Die Unwahrheit wollte ihm nicht über die Lippen; aber durfte er der Kranken die Wahrheit wissen lassen?
    »Zehn Gulden!« sagte sie, erstaunt die mageren Hände faltend, die nur noch aus Haut und Knochen bestanden. »Zehn Gulden! Wieviel giebt dieß das ganze Jahr?«
    »Hundertzwanzig Gulden.«
    »Lieber Jesus, welche Summe! Nicht wahr, dann kaufen wir uns des Sonntags einmal ein Stückchen Butter?«
    Bei dieser Frage traten ihm die Thränen in die Augen.
    »Freilich!« antwortete er. »Butter und auch Fleisch werden wir dann des Sonntags haben!«
    »Der Seidelmann ist doch nicht so schlimm, wie sie ihn beschreiben. Und was sagte er wegen – wegen –?«
    Sie blickte nach der Tochter hin, und der Schreiber verstand sie sogleich. Er gab sich Mühe, eine möglichst sorglose Miene zu zeigen, und antwortete:
    »Mache Dir keine Sorge! Auch das wird sich zum Besten wenden.«
    »Gott sei Dank! Mir war sehr bange. Aber das Reden strengt an. Ich werde schlafen, schlafen, schlafen!«
    Sie schloß die Augen. Sie lag da, als ob sie bereits gestorben sei. Vater und Tochter blickten einander an; dann verbarg die Letztere das Gesicht in die Händen. Sie hatte es ihm angesehen, daß es anders stand, als er gesagt hatte. Nach einer Weile fragte er flüsternd:
    »Gustel, was essen wir heute?«
    »Sauerkraut,« klang es leise und zögernd zwischen ihren Lippen hervor.
    »Wieder!«
    Bei diesem Worte senkte er den Kopf und legte, gerade so wie sie, das Gesicht in die Hände. Für fünfzehn Kreuzer Sauerkraut, Sauerkohl, hatte er am Montag gekauft. Das war nebst trockenem Brode während der ganzen Woche ihre einzige Nahrung gewesen.
    »Mache es warm!« sagte er nach einer Weile.
    Die Tochter gehorchte. Sie erhob sich und trat zum Ofen, um mit den wenigen Holzabfällen, welche der Wirth ihr heute geschenkt hatte, Feuer zu machen und das scharf und widrig gewordene Essen zu wärmen. Sie war noch damit beschäftigt, als schwere, polternde Schritte die Treppe heraufkamen. Die Thür wurde geöffnet, und der Gensd’arm trat ein.
    »Guten Tag!« grüßte er. »Schön, daß Sie zu Hause sind. Ich habe mit Ihnen zu sprechen.«
    Der Schreiber war bei dem Anblicke des Beamten erschrocken emporgefahren. Selbst Derjenige, welcher das beste Gewissen hat, fühlt eine gewisse Beklemmung, wenn er die Polizei bei sich zu empfangen hat.
    »Was wünschen Sie?« fragte er.
    »Ihre Frau ist krank. Haben Sie keinen anderen Raum, wo wir mit einander sprechen können?«
    »Droben die Kammer unter dem Dache; aber da ist’s bitter kalt!«
    Die Kranke hatte den Gensd’arm kommen gehört; auch seine Fragen hatte sie vernommen. Sie wendete ihm das Gesicht zu und fragte:
    »Was wollen Sie? Weshalb wollen Sie mit ihm reden?«
    Der Mann warf einen mitleidigen Blick auf sie und antwortete:
    »Es ist weiter nichts, liebe Frau! Es handelt sich nur um eine Erkundigung.«
    »Warum soll ich nichts davon hören? Wenn es eine gerechte Sache ist, so braucht man es mir nicht zu verschweigen.«
    »Ja, sagen Sie hier, was Sie zu sagen haben!« bat der Schreiber. »Sie macht sich sonst unnöthige Sorgen.«
    Der Gensd’arm winkte ihm ab; aber des Schreibers Frau merkte das und sagte:
    »Winken Sie nicht! Ich will wissen, um was es sich handelt. Ich muß es wissen!«
    Da sah sich der Gensd’arm zum Sprechen gezwungen. Er hätte gern einen Auftritt vermieden, welcher für

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