Der verlorne Sohn
Feder geben ließ. Er schrieb einen kurzen Brief, welcher folgendermaßen lautete:
»Herr Kaufmann Strauch.
Wenn Sie mit den Mitgliedern des Casinos den beabsichtigten Maskenball besuchen, sind Sie am dritten Tage darauf eine Leiche. Sie haben davon abzusehen, dies aber keinem einzigen Menschen zu sagen. Sie stellen sich krank und bleiben zu Hause. Auch die Tannert muß denken, daß Sie kommen. Ich hoffe, daß Sie gehorchen!
Der Waldkönig.«
Diesen Brief adressirte er, um ihn in den Kasten zu stecken. Dann erkundigte er sich, ob hier Jemand Tannert heiße.
»Ja,« antwortete der Wirth. »Es giebt nur einen einzigen Tannert. Das ist der reiche Bäcker in der nächsten Gasse.«
»Hat er eine Tochter?«
»Sein einziges Kind, die Marie. Die erbt einmal Alles.«
»Das wird dem lieb sein, der sie heirathet.«
»Freilich. Man munkelt, daß der Kaufmann Strauch ein Auge auf sie geworfen hat.«
Eduard wußte genug. Er trank aus, bezahlte seine Zeche und ging. Der Brief war bald besorgt, und dann trat er den Heimweg wieder an. Er hatte einen Entschluß gefaßt, den er ausführen wollte. Das gab ihm Kraft und Elasticität. Seine Schritte waren daher jetzt ganz andere als vorher.
Er war noch gar nicht sehr weit von der Stadt entfernt, so kam ihm ein Korbschlitten entgegen, in welchem außer dem Fuhrmanne drei Personen saßen. Er erkannte zu seinem Erstaunen den Schreiber Seidelmann’s, dessen Tochter und den Gensd’arm. Die Hände des Schreibers waren zusammengebunden; er stierte vor sich hin und schien Eduard gar nicht zu bemerken. Seine Tochter war blaß wie eine Leiche und hielt die Augen geschlossen. Auch sie sah also den jungen Burschen nicht, welcher erstaunt zur Seite getreten war, um den Schlitten vorüber zu lassen. Der Gensd’arm, den er grüßte, machte ein wichtiges Gesicht und dankte ihm mit einem kurzen Nicken des Kopfes. Eduard blickte dem Schlitten nach und murmelte bestürzt:
»Der Schreiber gefangen und seine Tochter dazu! Was mag da geschehen sein? Herrgott, der ist doch kein böser Mensch! Und die schwerkranke Frau daheim. Ich muß nur eilen, daß ich nach Hause komme! Da werde ich erfahren, was sich zugetragen hat!«
Er verdoppelte die Schnelligkeit seiner Schritte. Es wollte bereits Abend werden. Um fünf Uhr war in der Schänke die Versammlung, in welcher der Schuster Seidelmann eine Rede halten wollte. Eduard hatte sich vorgenommen, diese Rede anzuhören. Er ahnte keineswegs, was für eine Ueberraschung zu Hause seiner wartete. –
Der kleine Schreiber war so arm, daß er kein Haus, nicht einmal eine ärmliche Hütte besaß, wie es ihrer in dem Städtchen so zahlreiche gab. Er wohnte zur Miethe. Sein trauriges Heim bestand in einem kleinen Stübchen und einem noch kleineren Kämmerchen unter dem Dache, wo der Wind den Schnee zwischen den Schindeln hereintrieb.
Auf einem alten Kanapee, welches aber eigentlich nur eine alte, wackelige, und mit Lumpen belegte Holzstellage war, lag in der Wohnstube seine Frau. Die Kleinen befanden sich beim Wirth. Dieser war selbst arm, litt es aber gern, daß die Kinder zuweilen zu ihm kamen, um sich an seinem Ofen zu erwärmen. Dann hatte die Kranke doch wenigstens nicht den Anblick der leidenden Kleinen zu ertragen.
Beschwerlich fielen sie dem barmherzigen Wirthe keineswegs. Sie hockten still hinter dem Ofen und sahen stumm zu, wie er aus Holzstücken allerlei menschliche und andere Figuren schnitzte. Er verdiente sich sein kärgliches Brod nämlich mit der Anfertigung von Spielwaaren.
Droben in dem Stübchen saß die älteste Tochter bei der Mutter, um zu denjenigen Handreichungen bereit zu sein, welche bei der Krankenpflege nothwendig sind. Die Mutter lag bleich und mühsam athmend auf der harten Pritsche. Sie hielt die Augen geschlossen und öffnete sie kaum ein Wenig, wenn sie einmal eine Frage an die Tochter richtete.
Die Letztere war ein bildhübsches Mädchen. Jetzt allerdings sah auch sie leidend aus, eine Folge der Armuth, der mit der Krankenpflege verbundenen Anstrengung und ihres gegenwärtigen Zustandes. Grad eben jetzt hatte die Kranke die Augen geöffnet. Sie ließ den müden Blick auf ihrem Kinde ruhen und fragte mit leiser Stimme:
»Gustel, hast Du heute früh gegessen?«
»Ja, Mutter,« antwortete die Gefragte, indem sie leise erröthete.
Sie hatte nämlich eine Unwahrheit gesagt, und das war sie nicht gewohnt. Bei der Vorsicht aber, welche man der Kranken gegenüber beobachten mußte, konnte man derselbe nicht Alles
Weitere Kostenlose Bücher