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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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wurde?«
    »Ja. Sie ist zu dem Balle geladen.«
    »Ich errathe. Und Sie wohl nicht?«
    »Nein. Nämlich das Casino aus der Nachbarstadt hält übermorgen hier in der Schänke eine Maskerade ab. Ein Mitglied hat Engelchen geladen und ihr sogar den Anzug einer Italienerin geschickt, den sie anlegen soll.«
    »Ist er ihr Geliebter?«
    »O nein! Sie ist meine Nachbarstochter und hat noch niemals einen Geliebten gehabt. Sie ist ein schönes Mädchen. Sie sticht diesem Kerl in’s Auge; er will sie jedenfalls nur verführen.«
    »Alle Wetter! Da müssen Sie sich allerdings in das Mittel legen! Geht sie denn gern?«
    »Wie es scheint, ja.«
    »O weh, da hat sie Sie entweder nicht lieb, oder sie schmollt aus irgend einem Grunde mit Ihnen und will Sie auf diese Weise bestrafen.«
    »Sie würde nur sich selbst bestrafen.«
    »Das sieht so ein Mädchen nicht ein, wenigstens nicht eher, als bis es zu spät ist. Ich will mich nicht neugierig in Ihre Herzensangelegenheiten eindrängen; thun Sie ganz, was Ihnen Ihr Herz und Ihr Verstand eingiebt. Hören Sie, nicht nur allein Ihr Herz, sondern auch Ihr Verstand. Hier haben Sie die zwanzig Gulden für die erste Woche, und hier sind noch fünfzehn für den Maskenball!«
    Er drückte ihm das Geld in die Hand. Eduard wollte gar nicht glauben, was er hörte.
    »Herr,« sagte er. »Sie müssen ungeheuer reich sein!«
    »Ich habe gerade so viel, wie ich für mich und Andere brauche, keinen Kreuzer mehr, mein Lieber.«
    Damit entzog er sich den Dankesausbrüchen des jungen Mannes, der ganz glücklich war, von seinen Sorgen befreit zu sein. –Also, eine Truppe von Athleten und Taschenspielern war in der Nachbarstadt eingezogen. Es war am nächsten Tage, an welcher die Vorstellung sein sollte.
    Die Leute haußten für die kurze Zeit ihres Aufenthaltes auf dem Trockenboden, welchen sie gewählt hatten, weil sie da ungestört und unbeobachtet ihre Uebungen vornehmen konnten.
    Jetzt saßen vier männliche Personen und eine Frau da oben um ein Mittagsmahl, welches aus gekochten Rüben in Mehlwasser bestand. Die Leute hatten Hunger, das sah man an der Gier, mit welcher sie das Essen verschlangen.
    Der älteste, der Dirigent der Truppe, war eine klotzartige Gestalt, sieben Schuh hoch und im Verhältnisse breit, mit niedriger Stirn, wulstigen Lippen, kleinen, tückischen Augen und einer rothblauen Schnapsnase. Die anderen waren jedenfalls Brüder von ihm, ebenso klotzig, wulstig und tückisch. Sie alle Vier hatten etwas Rücksichtsloses, Grausames in ihren Zügen.
    Die Frau war lang und hager, man möchte sagen, spindeldürr. Sie hatte vielleicht bessere Tage gesehen, jetzt aber sprach sich in ihrem ganzen Habitus eine vollständige Gleichgiltigkeit gegen Alles aus.
    Obgleich es in dem Bodenraume bitter kalt war, hatten diese Leute sich doch nicht vollständig angekleidet. Vielleicht hatten sie keine vollständige ›Civilkleidung‹ oder sie fühlten die Kälte nicht, weil sie sich soeben einige Stunden hindurch in ihren Künsten geübt hatten.
    Tricots, mit Flittern und Flimmern versehen und hier und da durchlöchert, lagen in der Nähe, und aus einem nebenan befindlichen Verschlage ertönte ein leises, unterdrücktes Wimmern, wie aus Kindermund, welches zuweilen in ein ängstliches Röcheln überging.
    »Heiliges Donnerwetter!« sagte der Director, indem sein Auge tückisch aufleuchtete. »Ob der verdammte Junge wohl einmal schweigen will!«
    »Haue ihm Eins auf!« rieth ihm der eine Bruder.
    »Aber tüchtig,« sagte der Dritte. »Der Affe will sich nicht an uns gewöhnen.«
    »Haut ihn lieber todt, so sind wir ihn los!« meinte der Vierte, indem er einen großen Löffel voll Rübenschnitte in den Mund schob, den man wohl eher einen Rachen hätte nennen können.
    »Er ist noch zu schwach,« sagte die Frau, in ihrer Art begütigend. »Der Knoten wird wohl noch reißen.«
    »Ja, wie bei Dir. Bei Dir ist er so gerissen, daß Du ganz aus Rand und Band gegangen bist, alte Schlumpe! Ich habe für den Jungen zehn Thaler gegeben; die soll er mir abarbeiten, und wenn er sich alle Knochen bricht! Der Bengel hat schon seinem vorigen Herrn Unglück gebracht. Der hat ihn für eine Heidensumme von einem Geistlichen oder Missionar erhandelt, der aber nur ein Lausegeld an die Eltern bezahlt hat, wie er später zufällig erfuhr. Hört ihr den Vagabunden? Der jammert und quiekt wie ein Rattenkönig! Na, warte, Bursche, ich werde Dir das Flennen einstreichen!«
    Er stand auf und öffnete die Thür des Verschlages.

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