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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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vorzubringen?«

    »Nein.«
    »Gut! So können wir für heute auf Ihre Gegenwart verzichten. Ich freue mich außerordentlich, daß Sie nur am Ohre gestreift wurden.«
    Ob er sich wegen Seidelmann oder wegen Engelchen freue, das sagte er nicht. Der Erstere machte allerdings keine Miene, sich zu entfernen.
    »Darf ich annehmen, daß Sie mich verstanden haben, Herr Seidelmann?« fragte der Anwalt.
    »Ich soll gehen?«
    »Ich wünsche es.«
    »Aber ich kann doch vielleicht noch gebraucht werden.«
    »Das steht nicht zu vermuthen. Sie dürfen wohl überzeugt sein, daß ich meine Pflicht auch dann thue, wenn Sie nicht mehr anwesend sind. Sobald ich Sie brauche, werde ich Sie ersuchen lassen, vor Amtsstelle zu erscheinen. Gute Nacht!«
    Jetzt konnte er nicht anders; er mußte gehen. Und gerade jetzt schlug Engelchen die Augen auf. Sie sah das Gesicht des Geliebten ganz neben dem ihrigen.
    »Eduard, lieber Eduard!« sagte sie. »Du bist wirklich gefangen?«
    »Leider!« nickte er.
    »Und – ich – ich – habe ich wirklich geschossen?«
    »Ja, Engelchen.«
    Da nahm ihr Gesichtchen den Ausdruck der höchsten Angst an. Sie wendete den Kopf nach der Seite, auf welcher Seidelmann gestanden hatte. Sie erblickte ihn nicht. Sie sprang mit einem Rucke empor und fragte entsetzt: »Man hat ihn fortgeschafft? Ich habe ihn erschossen?«
    »Nein, Engelchen,« sagte Eduard. »Ein einziges Schrootkörnchen hat ihn nur am Ohre gestreift. Er ist nach Hause.«
    »Gott sei Dank, tausendmal Dank! Ich war so außer mir, ich wußte gar nicht, was ich that.«
    Sie setzte sich auf einen Stuhl und begann, bitterlich zu weinen. Mutter Hauser trat zu ihr, legte den Arm um sie, zog sie an sich und sagte: »Sei still, mein Kind, und beruhige Dich! Unser Herrgott wird Alles zum Besten lenken.«
    Der Anwalt betrachtete die Gruppe und sagte, ganz hörbar in der Absicht, zu beruhigen:
    »So ist es recht! Mit Gottes Hilfe werden wir Klarheit in dieses Dunkel bringen. Dieser Seidelmann schein ein Spezialfeind von Ihnen zu sein?«
    »Herr, ich sage nicht gern einem meiner Mitmenschen Uebles nach,« antwortete Vater Hauser; »aber hier haben Sie das rechte Wort getroffen: Spezialfeind.«
    »Warum ist er das?«
    »Wegen dieser da.«
    Bei diesen Worten deutete er auf Engelchen.
    »Bitte, erzählen Sie!«
    Der Alte berichtete ihm Alles, was in letzter Zeit geschehen war. Der Beamte hörte still und überlegsam zu und sann dann ein Weilchen vor sich hin.
    »Wo haben Sie des Nachts Ihren Rock?« fragte er dann Eduard.
    »Ich pflege ihn hier auszuziehen und auch hier zu lassen.«
    »Hm! Ist des Nachts Ihr Haus gut verschlossen?«
    Vater Hauser antwortete:
    »Herr Anwalt, wir sind arme Leute. Wer will uns etwas nehmen? Weswegen sollen wir schließen. Durch unsere Hinterthür kann ein Jeder in das Haus.«
    »So, so! Auf diesen Umstand wird man zu achten haben. Ah, da kommen sie.«
    Seine Leute kamen jetzt und meldeten, daß sich auch nicht das Allergeringste gefunden habe, was darauf schließen lasse, daß hier ein Schmuggler oder gar der Waldkönig wohne.
    Es schien, als ob der Beamte das nun nicht anders erwartet habe. Er winkte den Seinen, die Stube zu verlassen, und wendete sich dann an Eduard.
    »Ich will Ihnen gestehen, daß meine Meinung über Sie sich geändert hat. Aber leider bin ich nicht von meiner Meinung, sondern von meiner Pflicht abhängig.«

    »Sie können mich nicht freigeben?«
    »Nein.«
    »Sie werden mich mit nach der Amtsstadt nehmen?«
    »Ja. Ich muß Sie dort so lange interniren, bis wir uns das Vorhandensein der Spitzen erklären können!«
    »Mein Gott! Wer soll das erklären? Da werde ich wohl ewig gefangen bleiben!«
    »Denken Sie das nicht! Ihr Vater hat vorhin vom lieben Gott gesprochen, und zwar mit vollem Rechte. Ich bin überzeugt, daß wir sehr bald Klarheit erhalten werden. Vielleicht vermuthe ich bereits, von woher diese zu erwarten ist. Ich sichere Ihnen eine milde Behandlung zu.«
    »Ist das auch mild?«
    Dabei zeigte er seine Hände vor, welche zusammengebunden waren. Der Beamte antwortete:
    »Ich war dazu gezwungen. Sie hatten ja einen Fluchtversuch gemacht. Leider muß das auch so bleiben, bis wir angekommen sind.«
    »Aber darf man nicht wenigstens nach meiner Wunde sehen?«
    »Gewiß! Dazu haben wir noch Zeit.«
    »Komm her, Eduard!« sagte Engelchen geschwind. »Mutter mag mir Leinwand geben. Ich verbinde Dich!«
    Sie stand von ihrem Stuhle auf.
    »O, bitte, lassen Sie das ganz der Mutter über, Fräulein Hofmann!« sagte

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