Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
Hofmann zankte mit seiner Tochter. Er warf ihr ihren Ungehorsam vor und wollte sie zur Einwilligung zwingen, bei Seidelmanns in Dienst zu gehen.
    Engelchen weigerte sich mit aller Bestimmtheit. Das regte ihn nur noch mehr auf.
    »Liegt Dir vielleicht der Lump, der Hausers Eduard, im Sinn?« fragte er im drohenden Tone.
    Sie antwortete unerschrocken:
    »Der Eduard ist arm, aber kein Lump. Er meint es ehrlich mit mir, ehrlicher selbst, als mein Vater, der mich an den Seidelmann verschachern will.«
    »Was höre ich? Was sagst Du da, Mädchen!« brüllte er. »Ah, Dich will ich schon gehorsam machen! Gleich morgen früh schaffe ich Dich zu Seidelmann!«
    »Nur todt bringst Du mich hin.«
    »So mußt Du aus dem Hause.«
    »Ich werde gehen. Es wird sich auf der weiten Erde wohl ein Plätzchen für mich finden lassen.«
    »So! Also so redest Du! Ich werde Dir zeigen, wo der Platz ist, an den Du gehörst.«
    Der Streit hatte bereits längere Zeit gewährt. Frau Hofmann war nicht daheim, und so sah sich das Mädchen dem Zorne des aufgeregten Vaters ganz allein gegenüber. Die Wuth hatte jetzt den höchsten Grad erreicht. Hofmann erhob die Hand. Der wuchtige Schlag traf seine Tochter.
    Engelchen stieß einen Schrei aus, riß die Thür auf und entfloh hinaus auf die Gasse. Wohin sollte sie? Drüben stand die Wohnung des Geliebten. Sie eilte hinüber.
    In ihrer Aufregung bemerkte sie gar nicht, daß auch bei Hausers etwas Ungewöhnliches vorging. Sie öffnete die Stubenthür, erblickte Eduard, warf sich auf ihn, schlang die Arme um ihn und sagte: »Eduard, Du mußt helfen. Ich bin vor dem Vater geflohen.«
    Noch während sie sprach, sah sie, daß er gefesselt war. Sie erblickte das Blut, welches an seinem Arme niederträufelte.
    »Herrgott! Was ist mit Dir?« schrie sie auf.
    »Ich bin Gefangener,« antwortete er, bitter lächelnd.
    »Gefangener und verwundet? Weshalb?«
    »Ich soll der Pascherkönig sein.«
    »Wer sagt das?«
    »Der dort hat mich angezeigt.«
    Er nickte nach der Ecke hin, in welcher Fritz Seidelmann noch immer stand. Engelchen drehte sich um und erblickte diesen. Ihre Augen leuchteten in einer ungewöhnlichen Gluth.
    »Der dort hat Dich angezeigt?« fragte sie.
    »Und deshalb bist Du gefangen?«
    »Ja.«
    »Und deshalb hat man Dich verwundet?«
    »Ja, Engelchen.«
    »Herr, mein Gott. Und auch seinetwegen hat mich der Vater geschlagen und ich habe fliehen müssen.«
    Ihre kleinen Hände ballten sich. Sie war aufgeregt und empört fast bis zur Unzurechnungsfähigkeit. Sie trat einen Schritt auf Seidelmann zu und sagte in zischendem Tone: »Ungeheuer! Gewissenloser Mensch! Du, Du bist schuld an Allem! Weißt Du, was Dir gehört? Ich sollte hier das Gewehr nehmen und Dir eine Kugel durch den Kopf jagen!«
    Ein Schuß krachte. Ein mehrstimmiger Schrei erscholl, in welchen auch Engelchen mit eingestimmt hatte; dann brach sie zusammen. Sie hatte in ihrem Grimme dem da stehenden Grenzer das Gewehr aus der Hand gerissen, den Hahn gespannt, auf Seidelmann angelegt und abgedrückt – das Werk nur eines einzigen Augenblickes.
    Der Schuß rief natürlich alle im Hause zerstreuten Männer zusammen. Es entstand ein außerordentlicher Wirrwarr. Engelchen lag am Boden, und Eduard kniete mit gefesselten Händen neben ihr. Auch Seidelmann lag auf der Diele.
    »Ist er todt?« fragte der Anwalt, der seine Ruhe am Allerersten wieder erlangte.
    Man untersuchte ihn. Die Auskunft lautete:
    »Nein, sondern nur besinnungslos. Er ist vor Schreck umgefallen. Der Lauf war mit Schroot geladen. Ein Korn ist ihm hier ins Ohr gedrungen, sonst aber ist die ganze Ladung hier in die Wand gegangen.«
    »Man bespritze ihn mit kaltem Wasser und das Mädchen auch. Die Haussuchung wird fortgesetzt.«
    Seidelmann kam eher zu sich, als Engelchen. Er erhob sich und griff sich an das Ohr.
    »Herr Staatsanwalt, haben Sie es gesehen?« rief er.
    »Was?«
    »Daß dieses Mädchen mich erschießen wollte?«
    »Hm!«
    »Ich bin hier am Ohre getroffen. Nur ein Wenig weiter zur Seite und ich wäre eine Leiche. Ich ersuche Sie, Ihre Pflicht zu thun!«
    Der Beamte ließ seinen Blick eine ganze Weile lang ruhig im Kreise gehen. Dann sagte er kalt: »Was meinen Sie mit dem, was Sie meine Pflicht nennen?«
    »Ich verlange, daß die Mörderin arretirt werde.«
    »Ah! Wirklich?«
    »Ja. Sie muß arretirt und ganz exemplarisch bestraft werden. Darauf bestehe ich!«
    »Schön! Haben Sie in dieser Angelegenheit vielleicht noch irgend welche Bemerkungen

Weitere Kostenlose Bücher