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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Brauchen Sie mich?«
    »Ich muß einen Schlitten nehmen, und doch würde mir der Fuhrmann im Wege sein, da ich vielleicht Veranlassung finde, mich einige Male umkleiden zu müssen. Daher hätte ich es gern, wenn Sie den Kutscher machten. Ich weiß, Sie bekommen ganz gern Schlitten und Pferde anvertraut.«
    »Das ist die geringste Sorge. Wann soll es fortgehen?«
    »Um acht Uhr. Zunächst geht es nach der Amtsstadt von Helfenstein. Ich muß auf das Gerichtsamt.«
    »Wohl in Angelegenheit des Waldkönigs?«
    »Nein, sondern in Gustav Brandt’s Angelegenheit.«
    Das electrisirte den Förster. Er sagte:
    »Was? Ist’s möglich! Was soll da geschehen?«
    »Es soll eine Exhumation vorgenommen werden.«
    »Wie? Exhumiren heißt, eine Leiche ausgraben. Sie wollen ein Grab öffnen lassen?«
    »Ja.«
    »Weshalb?«
    »Um zu sehen, ob es eine Leiche enthält.«
    »Donnerwetter! Jedes Grab enthält eine Leiche! Was denn sonst Anderes? Etwa ein Puppentheater oder einen Leierkasten?«
    »Hm! Es kann auch einmal vergessen werden, die Leiche in das Grab zu legen.«
    »Dann würde die ganze Leichengevatterschaft betrunken sein, und der Todtengräber gar verrückt, wenn er das Grab zuschaufelt, und es ist kein Sarg darin.«
    »Oder es kann auch vorkommen, daß die Leiche aus dem Sarge gestohlen wird.«
    »Alle Teufel! Leichenräuberei?«
    »Ja.«
    »Das ist mein Geschmack nicht. Lieber würde ich mir, wie die alten Römer, ein hübsches, junges Mädchen rauben, anstatt eine Leiche.«
    »Appetitlicher ist das freilich. Doch kann es auch Verhältnisse geben, welche es verzeihen lassen, sich mit einer Leiche zu beschäftigen, anstatt mit einem hübschen Mädchen. Also, Vetter, fahren Sie mit?«
    »Das versteht sich! Sie wünschen es, und da muß ich doch. Außerdem macht mich Ihre Exhumirung ganz neugierig. Darf man nach den näheren Umständen fragen?«
    »Die werden Sie schon noch kennen lernen. Jetzt thut es Noth, eine Stunde oder zwei zu schlafen.«
    »Thun Sie das, Vetter! Ich werde mich nur ein Bischen auf das Canapee herlegen, denn ich muß eher wach sein, als Sie, da ich das Geschirr besorgen muß.«
    Früh punct acht Uhr fuhr ein Schlitten vom Forsthause ab. Der Förster lenkte die Pferde. Neben ihm saß Arndt, das Äußere ganz so, wie er sich im Forsthause zu zeigen pflegte.
    Kurz vor Helfenstein lenkten sie links ab nach der Amtsstadt zu. Es war dies dieselbe Stadt, auf deren Bahnhof einst Alma von Helfenstein, der »Sonnenstrahl«, so gastfreundliche Aufnahme gefunden hatte, als sie unter der Nachricht, daß ihr Bruder verbrannt sei, zusammengebrochen war.
    Vor der Thür des Amtsgebäudes stieg Arndt aus und begab sich, während der Förster beim Schlitten blieb, nach dem Anmeldezimmer.
    »Zu wem wollen Sie?« fragte der Expedient.
    »Zum Herrn Amtmann.«
    »Der hat jetzt keine Zeit.«
    »Meine Sache ist nothwendig!«
    »Sind sie bestellt?«
    »Nein.«
    »So warten Sie!«
    »Geben Sie diese Medaille sofort beim Herrn Amtmann ab!«
    Das wirkte. Der Mann nahm die Medaille, betrachtete sie, machte Arndt eine tiefe, respectvolle Verbeugung und verschwand. Schon nach kurzer Zeit kehrte er zurück und complimentirte ihn in das Zimmer des Amtmannes.
    Dieser war selbst gespannt, was der Inhaber dieser Medaille bei ihm wolle. Etwas Gewöhnliches konnte es doch wohl nicht sein. Er bot Arndt einen Stuhl an und fragte: »Muß ich mich mit der Medaille begnügen?«
    »Ich bitte darum.«
    »Aber einen Namen dürfen Sie doch wohl sagen? Ich muß Sie ja nennen können, wenn ich mit Ihnen reden soll.«
    »Ich heiße jetzt Arndt.«
    »Schön, Herr Arndt. Ich stelle mich zur Verfügung.«
    »Ich möchte ein Grab öffnen lassen, Herr Amtmann.«
    »Ah! Liegt ein Antrag vor?«
    »Nein.«
    »Haben Sie Genehmigung?«
    »Die hoffe ich von Ihnen zu erhalten.«
    »Ich bin nicht competent. Ueber Exhumirungen hat das Kreisamt zu bestimmen.«
    »Und doch wende ich mich an Sie. Ich habe nämlich keine Zeit, den gewöhnlichen Bureauweg einzuschlagen.«
    »Das thut mir leid. Ich bin auf keinen Fall befugt, die Erlaubniß zur Oeffnung eines Grabes zu geben.«
    »Auf keinen Fall?«
    »Ich kenne keinen einzigen.«
    »Auch diesen nicht?«
    Er zog die Karte des Ministers hervor. Der Amtmann las die wenigen Worte, prüfte die Unterschrift auf das Sorgfältigste, zog ein höchst unterthäniges Gesicht, machte eine tiefe Verbeugung und sagte: »Dieser Fall ist allerdings selten und mir noch nie vorgekommen. Ich habe zu gehorchen. Darf ich mich erkundigen?«
    »O,

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