Der verlorne Sohn
Schlange und Krododil! Du willst über mich hinauswachsen, weil Du denkst, mich in den Händen zu haben! Du sollst Dich irren! Ich habe es wohl bemerkt, daß dieser Mensch mich zu umschlingen strebt, wie eine Boa constrictor, um mir dann mit einem einzigen Drucke den Garaus zu machen. Jetzt ist er gar in meine Frau verliebt – in die Zofe, bis zum Rasendwerden! Er küßt und schmatzt ihre Photographie, die er sich aus dem Album gestohlen hat. Nun sie im Irrenhause ist, will er sie befreien! Gut, spiele Deine Trümpfe! Den letzten behalte ich doch, armseliger Schuster von der ›Seligkeit‹ Gnaden!«
Da wurde die Thür in nicht sehr zarter Weise aufgerissen und ein Diener trat mehr als schnell ein.
»Was soll’s?« fragte der bereits genugsam zornige Herr. »Wo brennt es denn?«
»Entschuldigung, gnädigster Herr! Aber dieses Ereigniß, diese Neuigkeit!«
»Was denn?«
»Sie sind arretirt!«
»Wer denn?«
»Die beiden Schmiede!«
Da fuhr der Graf erschrocken zurück.
»Weshalb?«
»Wegen Leichenraubes.«
»Donner und Doria! Das ist doch gar nicht möglich!«
»O gewiß! Der Fürst des Elendes hat sie gefangen.«
»Der Fü– Fü–«
Das Wort blieb ihm im Munde stecken.
»Heute ist das Grab geöffnet worden,« fuhr der erregte Diener fort.
»Welches denn?«
»Ich weiß es nicht.«
»Aber wo?«
»Droben auf dem Kirchhofe. Und vorhin haben die Schmiede eine Leiche hineinlegen wollen, sind aber vom Fürsten ertappt worden.«
»Wer das glauben soll!«
Und dabei zog er ganz unwillkürlich die Uhr hervor, um nach der Zeit zu sehen. Gerade für jetzt hatte er den Schmied zu einer Unterredung bestellt gehabt.
»Es ist die Wahrheit!« versicherte der Diener.
»Von wem hast Du die Nachricht?«
»Vom Stallmeister. Der ist im Dorfe gewesen und hat mit einem der Polizisten gesprochen, die den Gefangenen nachgesetzt sind.«
»Den Gefangenen nachgesetzt? Wie verstehe ich das?«
»Herrgott, die Hauptsache habe ich vergessen! Die Schmiede sind nämlich wieder entflohen.«
»Ah!«
Das war fast ein Seufzer der Erleichterung zu nennen, den der Baron ausstieß.
»Ja,« fügte der Diener hinzu, »sie sind kaum fünf Minuten lang gefangen gewesen. Der Sohn muß nicht fest genug gebunden gewesen sein. Er hatte ein Messer und bekam den Arm frei. Er hat auch die Fesseln seines Vaters zerschnitten, und dann sind sie fort – über alle Berge fort.«
»Man hat sie nicht wieder ergriffen?«
»Bis jetzt noch nicht.«
»Was aber ist’s dann mit dem Grabe?«
»Das verstehe ich nicht recht. Heute ist ein Gericht hier gewesen, um das Grab öffnen zu lassen. Es ist leer gewesen. Und heute Abend haben die Schmiede eine Leiche von dem alten Stadtkirchhof geholt, um sie in dieses Grab auf unserem Dorfgottesacker zu legen.«
»Eine Leiche? Vielleicht handelt es sich nur um einen Pack Schmuggelwaaren!«
»Das ist möglich, denn der Schmied ist als ein heimlicher Schmuggler bekannt.«
»Also warten wir es ruhig ab! Du kannst gehen!«
Der Diener entfernte sich. Der Baron aber durchschritt mehrere unerleuchtete Zimmer, bis er eine Treppe erreichte, die in den Schloßgarten führte. Er suchte eine Ecke des Letzteren auf und schnalzte, dort angekommen, leise mit der Zunge. Es wurde keine Antwort gegeben, und so begann er, auf dem Rasen langsam auf und ab zu gehen.
Bald aber ertönte ein leises Knacken von der Gartenmauer herab – ein lauteres Rascheln, dann das Geräusch, als ob zwei Personen nach einander auf die Erde sprängen.
»Wolf!« flüsterte der Baron.
»Ja.«
»Hierher! Ah, alle Beide?«
»Freilich. Es ist besser zu Zweien als Einer allein.«
»Aber sagt mir vorerst, ob es wahr ist, daß man Euch arretirt hatte?«
»Leider!«
»Wann und wo?«
»Vor ungefähr einer Stunde auf dem Gottesacker.«
»Weshalb?«
»Das ist eine lange Geschichte, zu der ich jetzt keine Zeit habe; es giebt noch viel Nothwendigeres!«
»Aber ich muß es doch wissen!«
»Zuvor das Nothwendigere. Nämlich der Fürst des –«
»Also wirklich?« unterbrach ihn der Baron. »Der Fürst ist mit im Spiele?«
»Und wie! Er ist sogar bei uns in der Oberstube gewesen, wohl über eine ganze Stunde lang.«
»Was wollte er da?«
»Hm! Er wußte Alles.«
»Was denn?«
»Wer den Hellenbach damals erschossen hat, und daß wir Beide hier es gesehen haben, wer das Feuer damals an das Schloß gelegt hat, wer der hiesige Waldkönig ist, und so noch vieles Andere.«
»Ihr seid des Teufels!«
»Es ist wahr, gnädiger Herr. Er kam, um uns
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