Der verlorne Sohn
gegenüber angekommen, sahen sie zwei Männer, welche gar nicht weit von ihnen im Schnee standen und mit einander sprachen. Es war kalt, und da dringt der Schall weiter als bei milder Luft. Darum hörten sie ziemlich deutlich, wovon die Rede war.
»Alle Teufel! Gensd’arms!« flüsterte der Baron.
»Ja. Das ist ein schlimmes Zeichen!«
»Horch!«
Der eine der beiden Polizeibeamten sagte soeben:
»So Etwas kann eben nur der Fürst des Elendes fertig bringen. Es wäre ohne ihn auf jeden Fall ein ganz gehöriges Blutvergießen geworden.«
»Sie alle in die Falle zu locken, alle! Das ist ein Streich! Wohl an die vierzig Gefangene!«
»Wenn nur der Waldkönig nicht entkommen wäre!«
»Noch ist er nicht entkommen! Der Fürst des Elendes ist ihm ja nach. Der bringt ihn sicherlich!«
»Aus dem Loche? Wer weiß, wohin der Stollen geht! Es kann das Verderben von allen Beiden sein. Na, abgekühlt haben wir uns Beide. Komm wieder herein.«
Sie gingen in das Haus. Die beiden Lauscher sahen sich einander an. Dann fragte Seidelmann:
»Haben Sie gehört?«
»Ja. Was thut dieser vermaledeite Fürst denn hier? Ist er denn allwissend?«
»Alle gefangen – in die Falle gelockt!«
»Von ihm, von ihm! O, ich werde mit ihm abrechnen!«
»Wohin hat man sie geführt?«
»Ja, das ist die Frage! Und wo hat man sie in die Falle gelockt, Alle, vierzig Mann?«
»Jedenfalls hier in der Nähe, da von dem Stollen die Rede war. Welch ein Glück, daß Fritz entkommen ist!«
»Ist der alte Stollen gemeint, dessen Mundloch hier hinter der Mühle zu Tage tritt?«
»Ich wüßte keinen anderen.«
»Ah! Sagte der Kerl nicht, daß der Fürst des Elendes dem Waldkönige nachgefolgt sei?«
»Ja. Fritz hat sich in den Stollen gerettet, und der Fürst ist hinter ihm her.«
»Donnerwetter! Fort, fort! Wir haben ihn!«
Seidelmann verstand den Baron sofort.
»Ja, wir haben ihn!« stimmte er bei. »Fritz macht durch den Stollen nach Hause, hinter ihm der Fürst! Wenn wir noch zur rechten Zeit heimkommen könnten!«
»Wir müssen es, wir müssen! Mag alles Andere verloren sein, wenn ich nur diesen Fürsten fange! Vorwärts! Die Maske herunter! Sie ist uns nur gefährlich jetzt, sobald uns Jemand begegnet.«
Sie steckten die Betttücher zu sich und rannten durch den Wald dem Städtchen zu. Soeben wollten sie zwischen den letzten Bäumen heraus in das freie Feld treten, als Beide einen Schrei des höchsten Schreckes ausstießen und sich an den Stämmen festhielten. Die Erde wankte unter ihren Füßen; dann gab es einen unbeschreiblichen Knall, drüben stieg aus dem Gebäude, welches das Mundloch des Hauptschachtes beschirmte, eine dicke Feuergarbe bis hoch zum Himmel empor, und beim Scheine dieser Flamme sah man deutlich, daß die große Dampfesse in das Wanken gerieth und dann zusammenstürzte – ein fürchterliches Getöse und Geprassel, dann war es still. –Die Beiden waren leichenblaß. Keiner vermochte, ein Wort hervor zu bringen. Da endlich stöhnte der Baron: »Ein schlagendes Wetter! Welch ein Verlust!«
»Schlagendes Wetter? Nein!« flüsterte Seidelmann nur so vor sich hin.
»Was denn sonst?«
»Fritz!«
»Fritz? Ihr Sohn?«
»Ja.«
»Was ist mit ihm?«
»Er ist in den Stollen und der Fürst hinter ihm. Fritz hat sich nicht anders retten können!«
»Nicht anders? Wie hat er sich denn gerettet?«
»Durch die Mine.«
»Durch welche Mine?«
»Die Sie damals mit mir heimlich anlegten.«
Der Baron machte einen förmlichen Luftsprung. Seine Augen funkelten wie diejenigen eines wilden Thieres, und er nahm ganz die sprungbereite Stellung eines Tigers an, der sich auf eine Beute stürzen will.
»Jene Mine?« zischte er. »Weiß er davon?«
»Ja.«
»Verräther!«
»Er ist mein Sohn und konnte doch auch in Gefahr kommen. Damit er sich dann retten könne, habe ich es ihm gesagt.«
»O Du niederträchtiger, armseliger Thor! Glaubst Du denn, daß ich Dir damals die Wahrheit gesagt habe?«
»Nicht?« stöhnte Seidelmann.
»Nein. Die Mine hatte einen ganz anderen Zweck. Sie ist nicht mit Pulver, sondern mit Dynamit geladen.«
»Herr, mein Heiland! Mit Dynamit!«
»Ja. Mensch, Dein Sohn ist verloren; es hat ihn mit zerrissen. Er konnte von der Schnur sich unmöglich so weit entfernen, um nicht selbst auch getroffen zu werden.«
»Gott sei mir gnädig!«
»Ja, durch Deine Plauderei bist Du der Mörder Deines eigenen Sohnes geworden! Aber« – fügte er in teuflischer Freude hinzu – »auch noch Einer!«
»Noch Einer?
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