Der verlorne Sohn
»Welche Verwegenheit, da sie den Stollen nicht kennen! Ich muß sie von den Schienen bringen. Und dann – ah, ich habe ja den Revolver!«
Er riß einige Latten von der Verschalung ab und legte sie auf die Schienen. Dann zog er sich zurück, aber ohne zu entfliehen. Mit der Linken hielt er den Hund, vor dem er stand, damit derselbe auf der abschüssigen Bahn nicht vorzeitig wieder in’s Rollen komme, und die Rechte hatte den Revolver gefaßt.
Die Verfolger kamen mit beängstigender Geschwindigkeit näher – sie erreichten die Stelle – ein Stoß – ein lauter Krach – tiefes Dunkel und drei oder vier Schüsse aus Seidelmann’s Revolver.
Dann setzte dieser sich wieder auf und fuhr weiter, in der Meinung natürlich, daß es nun mit der Verfolgung zu Ende sei. Er hatte sich geirrt.
»Verdammt!« ließ sich der Grenzer hören. »Ich dachte, alle Rippen gebrochen zu haben!«
»Ich auch. Sind Sie heil?«
»Ja.«
»Gott sei Dank, ich auch. Der Kerl hat uns ein Hinderniß auf die Schienen gelegt, so daß wir einen Sprung machten und an die Seitenwand flogen.«
»Und geschossen hat er auch.«
»Ja; es scheint hier nicht gemüthlich zu sein; aber es soll ihm nicht viel nützen. Wo nur die Laterne sein mag.«
»Suchen wir!«
Nach einiger Zeit sagte Arndt:
»Hier habe ich sie! Eine Glastafel zerbrochen; aber das Licht steckt noch in der Dille. Ich werde anbrennen.«
Ein Streichholz leuchtete auf, und nun wurde es wieder licht. Vor sich hörten die Männer ein dumpfes, sich schnell entfernendes Rollen.
»Da fährt er hin!« knirschte der Officier. »Wollen wir ihn entkommen lassen?«
»Entkommen kann er uns auf keinen Fall.«
»Oho!«
»Ich weiß nämlich, wer er ist. Ich könnte ihn aus dem Bette herausholen; aber besser ist es doch wohl, wir erwischen ihn hier in seinem unterirdischen Reiche. Ist der Wagen noch ganz?«
»Ich hoffe es doch! Untersuchen wir ihn!«
»Ja, sehen Sie, es ist nichts zerbrochen. Diese Kohlenequipagen pflegen höchst dauerhaft gearbeitet zu werden. Wollen Sie mit heben, damit wir ihn wieder auf die Schienen bringen?«
»Versteht sich! Angefaßt! So, jetzt ist es recht!«
»Also eingestiegen!«
»Ja, vorwärts! Aber nun ziehe ich auch den Revolver. Wenn ich dem Kerl nahe genug komme, schieße ich ihn nieder!«
»Das wäre ein Fehler. Lebendig müssen wir ihn haben!«
Der Hund kam in Bewegung und flog bald wieder ebenso schnell wie vorher in die dichte Finsterniß hinein.
Seidelmann näherte sich seinem Ziele schnell; er war überzeugt, daß er die Verfolger aufgehalten und mit seinen Kugeln verwundet habe. Die Bahn wurde eben, und der Hund lief langsamer.
»So schnell laufe ich selbst!« sagte Fritz und stieg aus.
Da war es ihm, als ob er hinter sich ein Rollen vernehme. Er blickte zurück und sah ganz hinten in dem schnurgerade führenden Gange ein Pünktchen auftauchen, kaum so groß wie ein Punkt, den man mit der spitzigsten Feder auf das Papier macht.
»Hölle und Teufel! Sie kommen doch!« fluchte er. »Sie werden unser Geheimniß entdecken! Gerade da vor mir stößt der Stollen auf den Gang nach unserem Keller. Da giebt es keine andere Rettung, als die Miene spielen zu lassen. Wie gut, daß wir auf den Gedanken kamen, sie anzulegen! Wenn das Gestein zusammenprasselt und den Gang verschüttet, dann soll uns Jemand nachweisen, daß ich es gewesen bin, der hier spazieren gefahren ist. Und, will es der Teufel, so trifft das stürzende Gestein die Kerle, die es da auf mich abgesehen haben. Ich wollte, es würden ihnen alle Knochen im Leibe zerschmettert, und sie müßten dann mit den Schmerzen noch Monate lang am Leben bleiben!«
Er tastete sich schnell weiter, um den Ort zu erreichen, an welchem eine Schnur an der Seitenwand herniederhing. Sie stand mit einer dort angebrachten Dynamitladung in Verbindung.
Die beiden Anderen ahnten keineswegs, welcher fürchterlichen Gefahr sie so schnell entgegenrollten. Doch bald wurde diese Schnelligkeit merklich geringer.
»Das Terrain wird eben,« sagte Arndt. »Es wird bald nothwendig werden, die Beine – halt, was steht da? Oh!«
Wieder geschah ein Krach. Sie waren mit dem ersten Hunde, den Seidelmann stehen gelassen hatte, zusammengestoßen. Sie waren schneller gefahren, als dieser Letztere. Darum war der Zusammenprall ein ziemlich heftiger, doch bei Weitem nicht so, wie der vorige.
»Was ist’s?« fragte der Officier.
»Der Wagen des Waldkönigs.«
»So ist er hier ausgestiegen?«
»Jedenfalls. Wie gut, daß ich die
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