Der verlorne Sohn
Wer?«
»Der Fürst, mein Todfeind! Ihn hat es jedenfalls auch getroffen. Ah!«
Dieser Seufzer klang wie der eines Teufels, der sein Opfer in der Hölle empfängt.
»Der Fürst ist weg! Ich bin frei! Und bin ich noch nicht ganz frei, so werde ich es sein! Dein Sohn war ein gefährlicher Zeuge gegen mich; er ist fort! Ein Anderer ist ebenso gefährlich; er muß auch fort! Ich will frei sein, frei, frei! Weißt Du, wer der Andere ist?«
»Nein. Wer?« stammelte Seidelmann.
»Du, Du! Ist Dein Sohn zum Teufel, so fahre Du ihm nach! Ihr waret Beide reif zur Verdammniß!«
Er zog das Pistol hervor, welches Seidelmann ihm vorher geborgt hatte. Der Hahn knackte. Der Fabrikant war unfähig, sich zu wehren. Er erhob die Hände und rief: »Gnade! Gnade!«
»Nein, Dir nicht! Dir nicht! Lieber will auch ich einst keine finden! Fahre hin!«
Der Schuß krachte. Die Kugel schlug Seidelmann durch die erhobenen Hände und drang ihm in den Kopf. Er sank zur Erde nieder. Der Baron kniete zu ihm hin und untersuchte ihn. Dann flüsterte er befriedigt:»Todt! Er fort; der Fürst fort; sein Sohn fort! Nun kommt an seinen Bruder die Reihe, an diesen scheinheiligen, gleißnerischen Verräther! Die beiden Schmiede stehen mir noch gut! Sie werden mich nicht verrathen, denn sie sind überzeugt, daß ich sie rette. Uebrigens werden sie bei der Explosion geflohen sein. Meines Bleibens ist hier nicht. Man darf mich nicht sehen, und den letzten Zeugen meiner Anwesenheit, den Wächter Laube, nehme ich mit. Hier, Waldkönig, hast Du Dein Pistol, damit man denken möge, Du seist Selbstmörder!«
Er warf die Waffe neben den Gefallenen hin und eilte im Fluge davon, sich in Acht nehmend, daß er nicht bemerkt werde.
Als er das Gehölz erreichte, stand der Wächter noch bei den Pferden, allerdings in höchster Aufregung.
»Endlich, endlich!« sagte er. »Ich muß fort!«
»Wohin?«
»Nach dem Schachte.«
»Weshalb denn?«
»Meine Frau! Meine Kinder! Dieses Unglück!«
»Sei ruhig! Den Deinen ist nichts geschehen!«
»Wirklich nicht?«
»Nein. Ich habe jetzt mit ihnen gesprochen; ich komme vom Schachte. Aber Dir selbst droht Unheil. Wir sind heute erwischt worden. Vierzig Mann sind gefangen. Auch Du bist verrathen. Man sucht Dich bereits.«
»Herrgott! Was thue ich?«
»Du fährst mit mir! Man wird denken, Du seeist bei der Explosion mit umgekommen, und wird Dich in Folge dessen nicht verfolgen. Deine Frau und Deine Kinder holst Du nach. Ich sorge für Dich! Vorwärts!«
Der vor Schreck förmlich consternirte Mann fand keinen Widerspruch; er band die Pferde los, hing die Stränge an, und dann flog der Schlitten lautlos dahin, als stamme er aus der Schattenwelt. –Arndt hatte mit dem Offizier und dem Förster ganz dasselbe Ziel wie vorher der Baron mit Seidelmann. Es war daher auch gar kein Wunder, daß die drei Ersteren die Bahn der beiden Letzteren verfolgten. Arndt war den Anderen um einige Schritte voran. Durch die Bäume brechend, fuhr er zurück.
»Was ist das?« sagte er. »Da liegt Einer!«
»Wo?« fragte der Förster, indem er rasch folgen wollte.
»Halt! Zurückbleiben!«
»Warum?«
»Es liegt eine Pistole bei ihm. Ein Mord oder Selbstmord. Er blutet. Wir dürfen die Spur nicht verwischen, denn ich sehe, daß hier zwei Männer gestanden haben.«
Er trat neben den Spuren zu dem Gefallenen hin, faßte ihn an, hob ihn auf und trug ihn auf die Seite.
»So! Jetzt könnt Ihr her! Ihr werdet Euch wundern!«
Die beiden Anderen traten hinzu und beugten sich nieder.
»Alle guten Geister!« rief der Förster. »Seidelmann!«
»Ja. Er ist erschossen worden.«
»Wie? Kein Selbstmord?«
»Nein. Seht her! Die Kugel ist ihm durch beide Hände in das Gehirn gedrungen. Er ist todt.«
»Gott sei seiner armen Seele gnädig! Wer mag der Mörder sein.«
»Vielleicht entdecken wir es. Hier ist etwas Weißes.«
Er zog das Tuch hervor.
»Ah! Oh!« rief der Förster. »Ein Bettuch! Sehen Sie einmal nach der Ecke!«
»Hier! Ein T. und M. Es stimmt. Ah, Teufel! Ich ahne, wer der Mörder ist!«
»Wer?«
»Jetzt nicht davon! Vetter Wunderlich, bleiben Sie einige Augenblicke hier bei der Leiche. Wir Beide gehen nach dem Schachte, wo die Gensd’armen sind. Ich schicke Ihnen zwei her, welche die Leiche bis auf Weiteres bewachen werden. Aber verbieten Sie ihnen, den Platz zu betreten oder die Spur zu zerstören! Kommen Sie, Herr Lieutenant! Der Mörder ist hier nach dem Dorfe gegangen, und zwar sehr eilig. Gehen wir neben der Fährte her,
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