Der verlorne Sohn
werden!«
»Alle Teufel! Sie ist verrückt, wirklich verrückt!«
»Schweig! Beleidige mich nicht! Denke an die Kleopatra, wie sie, mit Messer und Pistolen im Gürtel und das krumme Schwert in der Faust, dem Großvezier den Kopf abschlug!«
Sie strich mit der Faust durch die Luft, als hätte sie einen Kopf vor sich, den sie absäbeln müsse. Herr Léon Staudigel trat auf sie zu und fragte sie: »Frau, bist Du etwa – betrunken?«
Da richtete sie sich hoheitsvoll empor, warf ihm einen vernichtenden Blick zu und antwortete.
»Du, Du wirst betrunken sein, vor Freude betrunken darüber, daß Du so eine Frau hast!«
»Welche Reden! Sie hat den Sonnenstich im Winter. Sie bekommt den Hirnschlag.«
»Schwachkopf!«
Dieses Wort donnerte sie ihm noch entgegen, dann verließ sie das Zimmer. Er aber blickte noch lange Zeit kopfschüttelnd nach der Thür, hinter welcher sie verschwunden war, und konnte sich das Räthsel nicht erklären. –Max Holm war nachdem zu dem Theaterdiener Werner gegangen, um ihn für heut Abend zu instruiren. Dann begab er sich nach Hause. Der Vater saß, wie gewöhnlich, schlafend in seinem Stuhle; aber die Schlafstubenthür stand offen, jedenfalls damit aus der geheizten Wohnstube ein wenig Wärme hinausdringen möge. Und als Max, seine Schwester da draußen vermuthend, hinaustrat, fand er zwar diese Letztere, aber zu gleicher Zeit auch – die Amerikanerin. Sie hatten eine Menge Stoff und Zeug vor sich liegen und schienen sich dabei in sehr angeregter Unterhaltung zu befinden.
»Entschuldigung!« bat er, indem er zurücktreten wollte.
Ellen Starton aber nickte ihm freundlich zu und sagte:
»Warum fliehen Sie uns? Papa schläft. Man darf ihn nicht wecken. Bitte, treten Sie doch näher!«
Jetzt konnte er nicht anders. Er mußte gehorchen. Sie gab ihm das schöne Händchen und fragte:
»Nicht wahr, so muß man sich in Deutschland begrüßen?«
»Nur unter Bekannten!« stotterte er.
»Ach? Und wir kennen uns nicht?«
Was sollte er sagen? Einer gewöhnlichen, nichtssagenden Antwort schämte er sich, und vielsagend zu sein, das erlaubte er sich nicht. Er schwieg. Die Amerikanerin drohte ihm mit dem Finger und wendete sich wieder der Schwester zu. Er trat an die Kommode und blätterte, um doch Etwas zu thun, in den dort liegenden Noten herum. Vielleicht wäre eine peinliche Pause entstanden, wenn Ellen nicht gar so viel über die Arbeit zu fragen und zu sagen gehabt hätte. Aber Hilda war zartfühlend genug, nach einem Vorwande, sich zu entfernen, zu suchen. Und sucht ein weibliches Wesen nach einem Vorwande, so läßt er sich sicher finden.
Als die Beiden sich allein befanden, stützte Ellen die beiden Hände auf den Tisch und richtete sich in eine entschlossene Haltung empor.
»Herr Holmers!« bat sie.
Er wendete sich mit fragendem Blicke ihr zu.
»Ich möchte meine vorige Frage wiederholen,« fuhr sie fort. »Kennen wir uns, oder nicht?«
Sie hielt den Blick ihres wunderschönen Auges fest, aber warm auf ihn gerichtet. Sie stand da vor ihm in all ihrer jugendlichen Pracht und Herrlichkeit. Es umstrahlte sie der Glanz einer engelhaften Reinheit. Er hätte vor ihr niederfallen mögen, um sie anzubeten, er, der arme Musikus, sie die Millionärin! Nein! Sie durfte nicht merken, daß er sie mit tausend Herzen und abertausend Leben liebte.
»Ja, wir haben uns gesehen,« antwortete er höflich, aber doch mit fühlbarer Kälte.
»Gesehen haben wir uns,« nickte sie in düsterem Ernste. »Weiter nichts, Herr Holmers?«
»Was sonst?«
»Ich habe Sie nicht nur gesehen, sondern ich habe Sie auch gehört. Kennen Sie den Klang Ihrer Violine? Kennen Sie die Macht Ihrer brillanten Phantasieen? Pah, Sie mögen recht haben, wir haben uns gesehen.«
Ihre Worte schnitten ihm tief in die Seele ein. Aber er suchte nach einem Grunde, stark zu bleiben, und er fand ihn. Er sagte: »Ich habe Sie gesehen, nur gesehen, nie aber gehört.«
Sie war ihm ja so unnahbar gewesen. Er hatte nie ein Wort mit ihr sprechen können.
Ihre Brauen zogen sich ein wenig empor. Sie schüttelte den Kopf, als ob sie ihn nicht verstehe.
»Nur gesehen haben Sie mich?« fragte sie.
»Leider!«
»Nun wohl! Tausende haben mir gesagt, daß sie mich nicht blos gesehen haben. Ist meine Kunst nur eine Kunst für das Auge? Kann die Kunst überhaupt nur für einen besonderen Sinn vorhanden sein? Hat sie nicht ihre tiefsten Wurzeln in der Seele, im Gemüthe, und reift sie nicht ihre besten Früchte eben auch wieder für das Herz,
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