Der verlorne Sohn
für das Gemüth? Sie haben mich nur gesehen. Sie haben mich nicht verstanden. Sie waren mir der von Gott begnadete Künstler, und ich war für Sie die – Ballettänzerin.«
»Miß Ellen!«
»O bitte!«
»Nein, lassen Sie mich sprechen! Ich hörte, daß Sie nicht tanzen um des schnöden Gewinnes willen. Man sagte mir, Sie tanzten, getrieben von der Götterkraft des Genies. Und nun –«
»Was?«
»Nun treten Sie doch für Geld auf!«
»Wer sagt Ihnen das?«
»Würden Sie sonst hier auf dem Continente erscheinen?«
Sie senkte die Wimper. Ihre Wangen waren bleich geworden. Und als sie das Auge wieder erhob, glänzte es in feuchtem Schimmer.
»Wollen Sie mich deshalb verurtheilen?« fragte sie. »Weshalb geigten Sie? Weshalb kamen Sie nach den Vereinigten Staaten? Nicht um Geld zu verdienen, viel Geld? Warum üben Sie auch jetzt wieder Tag und Nacht? Etwa nicht um des Mammons willen?«
»Ich bin arm, bitter arm; das sehen Sie!«
Er deutete dabei auf die ärmliche Ausstattung des kleinen Kämmerchens.
»Und mich halten Sie für reich?«
»Man sagte mir so. Hatte man vielleicht nicht recht?«
»Man hatte recht. Ich besaß Millionen. Aber was ist dieser Besitz werth? Macht er das Herz glücklich?«
Sie schwieg eine kleine Weile-, dann fuhr sie fort:
»Ich habe da drüben jenseits des Oceans viel, viel besessen. Es ging mir Alles verloren, Alles. Nun bin ich arm, ärmer als Sie, das können Sie mir glauben.«
»Und dennoch tragen Sie Brillanten!«
Er deutete dabei nach ihren Ringen und Armbändern, an denen kostbare Diamanten funkelten. Sie zuckte die Achsel und schwieg.
»Warum treten Sie mit dieser Leda in die Schranken, Miß Ellen?« fragte er.
»Thue ich das?« warf sie ein.
»Dieses Weib ist nicht werth, Sie auch nur anzublicken, und doch ringen Sie mit ihr um die Anstellung an dem zweiten Theater dieser deutschen Stadt!«
Ein abermaliges Achselzucken war ihre einzige Antwort.
»Ich möchte diese Concurrenz zur Hölle wünschen,« knirschte er. »Man weiß ja im Voraus, daß Sie besiegt werden.«
»Wirklich?« fragte sie lächelnd. Und sich hoch und stolz emporrichtend, fügte sie hinzu: »Mich besiegt man nicht!«
»Die Leda hat das Anstellungsdecret so gut wie in der Hand. Ich weiß es.«
»Und das nennen Sie eine Niederlage für mich?«
»Doch jedenfalls.«
»Das ist wieder ein Beweis, daß Sie mich nicht verstehen. Ah, da kommt Ihre Schwester.«
Hilda’s Eintreten machte dem unerquicklichen Gespräche ein Ende. Die Amerikanerin gab sich keine Mühe, ihre Anwesenheit besonders zu verlängern. Als sie sich dann verabschiedete, reichte sie ihm die Hand mit den Worten: »Vergessen Sie nie, was ich Ihnen sagte: Ich bin arm, sehr arm, viel, viel ärmer als Sie!«
Als sie die dunkle Treppe hinabstieg, kam ihr der Hausverwalter entgegen. Sie passirten an einander vorüber. Dann blieb er murmelnd stehen: »Wer war das? Eine vornehme Dame. Aber es klang ja ganz so, als ob sie weine, als ob sie ein Schluchzen unterdrücke! Ich muß mich verhört haben!«
Unten zog sie den dichten Schleier vor das Gesicht. So konnte man das letztere nicht deutlich erkennen.
Später trat sie in den Laden des bekanntesten und reichsten Juweliers. Sie trug selbst auf der Bühne stets nur echten Schmuck und hatte ihm einiges Geschmeide anvertraut, um eine oder mehrere kleine Änderungen daran vornehmen zu lassen.
Er befand sich mit einem ältlichen Herrn im Gespräch, bei welchem er sich durch eine tiefe Verbeugung entschuldigte, um sie bedienen zu dürfen. Dieser Herr betrachtete die Kostbarkeiten des Ladens, hörte aber dabei aufmerksam dem Gespräche zu, welches sie mit dem Juwelier führte.
Dieser glaubte, seine Kenntnisse zeigen zu müssen, indem er den Werth ihres Schmuckes taxirte. Der ältliche Herr trat hinzu und fragte: »Wie sagen Sie? Ein Bracelet im Werthe von über sechzigtausend Gulden? Bitte, darf ich es mir anschauen, Fräulein?«
Ellen streifte das Armband ab und gab es ihm in die Hand. Der Juwelier öffnete bereits den Mund zu einer Bemerkung, welche er für nothwendig hielt, aber der Herr gab ihm einen von Ellen unbemerkten Wink.
»Herrlich!« sagte er. »Wirklich entzückend! Wo ist dieser Schmuck gefertigt worden?«
»In St. Louis.« Jetzt blickte er sie forschend an, dann fragte er: »Sie sind Amerikanerin?«
»Ja.«
»Erst seit kurzem hier?«
»Seit sehr kurzem.«
»So irre ich mich wohl kaum, wenn ich annehme, daß Ihr Name Ellen Starton ist?«
»Ich heiße so.«
»Ich habe von
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