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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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würdevoller Haltung dem Fürsten, verbeugte sich, aber ja nicht zu tief, und sagte nur: »Ausgezeichnete Ehre, Durchlaucht!«
    Das klang so albern, daß der Fürst fragte:
    »Was?«
    »Mein Erscheinen hier.«
    »Für wen? Für mich?«
    »O nein, sondern für mich.«
    »Sehr verbunden!«
    Er stellte den emeritirten Beamten der Baronesse vor und wendete sich dann von ihm ab.
    Es war den Anwesenden anzusehen, daß sie sich über den Grund der Einladung sehr im Unklaren waren. Sie flüsterten mit einander, zuckten die Achseln und trugen sehr gespannte Gesichter zur Schau.
    Als Alle versammelt waren, deutete der Fürst nach dem gefüllten Büffete und sagte:
    »Meine Herren, ich habe Ihre Anwesenheit gewünscht, nicht um Ihnen ein Souper zu geben, sondern um eine alte, nicht mehr beachtete Erinnerung in Ihnen aufzufrischen. Die meisten von Ihnen sind Juristen. Es handelt sich nämlich um einen ausgezeichneten Criminalfall, in Beziehung dessen ich Ihr Urtheil kennen lernen möchte. Zur beliebigen Erfrischung dabei ist Ihnen das Büffet empfohlen.«
    Der Justizrath verbeugte sich und sagte:
    »Sehr gütig, Durchlaucht. Werde mich Ihrem Wunsche gern acommodiren!«
    Er trat an das Büffet, goß sich ein Glas Wein ein, nippte mit Kennermiene und sagte:
    »Exquisit! Alter, schwerer, dicker, schwarzer Tintio aus Portugal. Liebe diese Sorte! Ist aber selten! Bitte, Durchlaucht: Welchen Criminalfall?«
    »Ein Fall, den Sie Alle kennen. Der Angeklagte wurde unschuldig verurtheilt.«
    »Unschuldig? Unmöglich!«
    »Warum unmöglich?«
    »Absolut unmöglich! Bedenken Durchlaucht, daß nur helle Köpfe und scharfe Denker das Amt eines Richters bekleiden. Die Logik eines richterlichen Urtheiles ist infallibel wie der Papst in Rom.«
    »Und doch haben wir Fälle, daß ein Verdammungsurtheil einen Unschuldigen traf.«
    »Könnte mir nicht passiren.«
    Der Justizrath schien für alle Anderen das Wort ergriffen zu haben, weil er sich für den Höchststehenden hielt.
    »Und dennoch halte ich auch Sie für fehlbar!«
    »Was? Mich?«
    Seine Brauen zogen sich finster zusammen.
    »Ja, Herr Rath. Alle Menschen sind dem Irrthum unterworfen, und auch Sie sind ein Mensch.«
    »O bitte, Durchlaucht! Erlauben Sie, meine Herren! Ich habe mich stets eines solchen Scharfsinnes, einer so gediegenen Divination befleißigt, daß ich mir sagen darf, keinem Menschen zu viel oder zu wenig gethan zu haben.«
    »Hm!« ließ sich eine Stimme hören.
    »Wie? Was?« fragte er schnell, indem er sich im Kreise umblickte.
    »Sagte einer der Herren Etwas? Nein? Scharfsinn, Gediegenheit, Sorgfalt! Ist auch anerkannt worden.«
    Er deutete dabei mit stolzer Geberde auf das in seinem Knopfloche befindliche Band.
    Da sagte der Fürst:
    »Sie müssen sich ja selbst kennen, Herr Gerichtsrath, und wir zweifeln ja auch gar nicht daran, daß die Ihnen gewordene Auszeichnung eine wohlverdiente ist. Aber, hm, da kam mir heute eine alte Zeitung in die Hand, in welcher der Bericht einer Gerichtsverhandlung stand, der mich sehr interessiren mußte. Es handelte sich nämlich um einen Doppelmord. Der Mörder wurde zum Tode verurtheilt und wunderbarer Weise erkannte ich an den angegebenen Namen, daß die Eltern dieses Mörders in meinen Diensten stehen.«
    »Fatal! Höchst fatal!« sagte der Justizrath.
    »Wieso?«
    »Hm! Man kann doch nicht die Eltern eines Mörders gern in seiner unmittelbaren Nähe haben!«
    »Was können die dafür?«
    »Durchlaucht, die Krankheiten der Moral sind ebenso ansteckend wie diejenigen des Leibes.«
    »Sie halten also den Mord für ansteckend?«
    »Unter Umständen, ja. Zum Beispiel bei Aufruhr oder bei bigott religiösen Aufregungen.«
    »Das war aber hier nicht der Fall. Die Eltern sind alte, ruhige, stille, ehrbare Leute. Der Vater, ein gewisser Brandt, war früher Förster in Tannenstein.«
    Da machte der Justizrath eine hastige Bewegung und sagte:
    »Brandt? Ah, Durchlaucht meinen den exquisiten Fall Gustav Brandt gegen Helfenstein und Hellenbach?«
    »Ja.«
    »Das ist allerdings der bedeutendste Fall, der mir in meiner Praxis vorgekommen ist. Und dieser Mensch, der Brandt, hatte wirklich die Stirn, zu leugnen.«
    »Seine Eltern behaupten noch heute, daß er unschuldig gewesen sei.«
    »Natürlich! Eltern vertheidigen ja stets ihre Kinder.«
    »Es soll aber auch bereits damals Stimmen des Zweifels gegeben haben, Herr Justizrath!«
    »Stimmen des Zweifels? O, die giebt es stets. Aber in dieser Bewegung logischer Ungewißheit sitzt der Richter fest,

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