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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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wie ein Fels im Meere. Er läßt sich nicht verlocken und verleiten und spricht sein endliches Wort so groß und gelassen aus wie jenes biblische: Es werde Licht!«
    »Hm!« ließ sich Einer vernehmen.
    Der Justizrath wendete sich sofort nach der betreffenden Seite, schnupperte mit der Nase in der Luft und fragte: »Wie? Was? Sagte einer der Herren Etwas?«
    Der Fürst machte mit der Hand eine beruhigende Bewegung und fuhr fort:
    »Ich sprach sodann mit einem alten, wohlverdienten Polizisten über diese Angelegenheit, und auch dieser zuckte mit der Achsel und meinte, er hätte nicht klug werden können.«
    »Polizist! Ah, untergeordnete Beamte! Können überaus niemals klug werden. Sie müssen geleitet werden von dem studirten und erfahrenen Kriminalisten. Uebrigens, Durchlaucht, trifft es sich sehr glücklich, daß gerade wir, die wir hier versammelt sind, über den Fall Brandt die beste Auskunft zu ertheilen vermögen.«
    »Wirklich? In wiefern?«
    »Nun, es sind zufälliger Weise mehrere Herren hier, welche als Beamte dabei thätig waren. Ich zum Beispiel war während der Session Vorsitzender; das heißt, ich leitete die ganze Verhandlung.«
    »Das ist mir interessant.«
    »Ja, allerdings. Und hier haben Sie noch zwei, drei, fünf Herren, welche unter mir betheiligt waren. Ich darf wohl sagen, daß wir damals in treuester und scharfsinnigster Pflichterfüllung geleistet haben, was zu leisten war. Es war nicht leicht, einem so verstockten lügnerischen Bösewicht gegenüber gerecht und unpartheiisch zu bleiben. Er wußte alle Saiten anzuschlagen, wir aber hielten uns tapfer und blieben ungerührt.«
    »Hm!« erklang es abermals.
    Dieses Mal war es der Gerichtsrath gewesen. Der Justizrath fuhr schnell zu ihm herum und fragte:
    »Wie? Was? Sagten Sie vielleicht Etwas, Herr Bezirksgerichtsdirector?«
    »Nein. Ich räusperte mich.«
    »Ah, Sie räusperten sich! Aus altem Interesse! Ja, Sie führten ja damals das Protocoll. Schade aber um die schöne Verhandlung.«
    »Schade?« fragte der Fürst.
    »Ja, gewiß.«
    »Warum?«
    »Der verruchte Doppelmörder wurde nicht geköpft.«
    »Wohl begnadigt?«
    »Nein. Er entfloh; er entkam. Denken Sie sich, er wollte einen vollständig Unschuldigen mit dem Morde belasten, nämlich den Baron von Helfenstein. Das war geradezu teuflisch. Ich aber ließ mich nicht irre machen. Durchlaucht sind jedenfalls nicht Jurist?«
    »Nein.«
    »Nun, so muß ich Ihnen sagen, daß der Vorsitzende das Verhör zu leiten und die Fragen zu stellen hat. Und auf die Fragestellung kommt sehr, sehr viel an. Ob man dem Angeklagten wohl will oder nicht, das hat sehr großen Einfluß auf die Folgen. Man kann den Angeklagten durch schonendes Verhör in ein sehr mildes Licht stellen; man kann aber auch durch unbeugsames und verwickeltes Fragen ihn zu Antworten zwingen, welche belastend auf ihn zurückwirken. Ja, dies ist die Kunst des Vorsitzenden. Und ich habe ihn damals so gerecht, so unbeugsam und schonungslos inquirirt, daß er sich verfangen mußte.«
    »Das heißt, Sie waren von seiner Schuld überzeugt?«
    »Natürlich, vollständig.«
    »Und behandelten ihn also als Mörder?«
    »Das versteht sich.«
    »Und doch habe ich gehört, daß nicht nur die Menschlichkeit, sondern auch die Vorschrift gebietet, den Angeklagten erst nach vollzogenem Urtheilsspruche als Verbrecher zu betrachten und zu behandeln.«
    »Menschlichkeit! Humanität! Laxe Begriffe! Der Richter hat mit Strenge zu verfahren, denn die Macht des Gesetzes liegt eben in der Strenge. Der Richter hat niemals zu belohnen, meist aber zu bestrafen. Und damals – ah, da fällt mir ja ein, daß die gnädige Baronesse hier ja auch dabei war. Auch sie zeugte gegen ihn, Durchlaucht. Wer kann da von Unschuld reden! Kein Mensch, kein Einziger.«
    »Sie sind Ihrer Sache so gewiß, daß ich mir keinen Zweifel gestatten kann. Hier behauptet man, daß ein Unschuldiger für schuldig erklärt worden sei. Ich kenne einen strict entgegengesetzten Fall, nämlich daß Einer, der ein Verbrechen begangen hat und dasselbe auch freimüthig eingesteht, doch für unschuldig erklärt wird.«
    »Unmöglich!«
    »O, es ist ein positiver Fall; er ist wirklich geschehen.«
    »So ist der Thäter unzurechnungsfähig!«
    »Auch nicht; man rühmt ihm im Gegentheile sehr gute Geisteseigenschaften nach.«
    »Um welches Verbrechen handelt es sich?«
    »Menschenraub.«
    »Alle Wetter! Das ist gefährlich und wird streng bestraft!«
    »Er hat die Frau eines Anderen nächtlicher

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