Der verlorne Sohn
befanden.
Als der Fürst am Gefängnißtore klingelte, wurde sofort geöffnet, ein Zeichen, daß er erwartet worden sei.
»Ist der Herr Staatsanwalt anwesend?« fragte er den Schließer.
»Bereits seit längerer Zeit.«
»Gehen Sie auf die Bezirkswache und holen Sie drei bis vier Mann Polizei, mit Todtschlägern bewaffnet!«
Nach diesem Befehle begab er sich zum Staatsanwalt, welcher bei dem Gefängnißwachtmeister in dessen Zimmer sich befand.
»Ah, Durchlaucht! Endlich! Also ist Ihre Combination doch eine richtige gewesen?«
»Ja. Ich habe soeben nach Schutzmannschaft geschickt.«
»Der Tausend! Warum?«
»Die beiden Schmiede sollen ermordet werden.«
»Von wem?«
»Vom Lieutenant des Hauptmannes.«
»Aber wie?«
»Von einer Leiter aus mit der Windbüchse.«
»Das soll dem Kerl vergehen. Kommt er allein?«
»Ja.«
»Desto besser. Wir werden ihn sofort empfangen.«
»Das würde, wie bereits erwähnt, ein Fehler sein. Er mag schießen, auf alle Beide schießen, scheinbar natürlich. Erst wenn er nach dem zweiten Schusse von der Leiter steigt, werden wir ihn mit Liebenswürdigkeit empfangen. Ich schlage vor, wir lassen die beiden Schmiede hierher kommen.«
»Ah! Wozu?«
»Um ihnen zu zeigen, was sie von dem Hauptmanne zu erwarten haben. Vielleicht bringen wir sie dadurch zu einem offenen Geständnisse.«
»Dieser Gedanke ist sehr rationell. Ich stimme ihm bei. Nur erscheint es mir nicht ungefährlich, zu so später Stunde diese beiden Menschen hierzu haben.«
»Pah! Wir sind zu Dreien!«
»Sie zwar nur Zwei, aber verzweifelte Menschen.«
»Ich fürchte sie nicht.«
»Sie haben nach Polizei geschickt. Könnten wir nicht einige dieser Leute hier eintreten lassen?«
»Nein. Ich muß als Brandt mit den Schmieden sprechen; ich kann das Geheimniß nicht so Vielen preisgeben.«
Die Polizisten kamen. Der Fürst führte sie in den Gefängnißhof und erklärte ihnen:
»Es wird ein einzelner Mensch auf einer Leiter über die Mauer kommen und erst da an Nummer Zwölf und dann dort an Nummer Einundzwanzig emporsteigen, um die Insassen der beiden Zellen mit dem Windgewehr zu erschießen. Sie lassen ihn gewähren. Ich sorge dafür, daß er kein Unheil anrichtet. Aber sobald er zum zweiten Male von der Leiter steigt, fassen Sie ihn ab und bringen ihn herein. Bis dahin halten Sie sich versteckt. Aber nehmen Sie sich vor seiner Waffe in Acht.«
Nach diesen Worten kehrte er in das Zimmer zurück und legte seinen Bart und das Uebrige ab. Der Wachtmeister öffnete vor Erstaunen den Mund. Der Fürst sagte ihm lächelnd: »Sie sehen, daß in der Welt manches anders ist, als es scheint. Was Sie sehen, werden Sie mit tiefstem Schweigen bewahren. Es hat Alles seine Gründe. Jetzt senden Sie die beiden Schließer zu den Schmieden.«
Aber der Wachtmeister konnte sich doch nicht beruhigen. Er kratzte sich den Kopf und sagte:
»Jetzt weiß ich wahrhaftig nicht, ob ich träume oder wache. Diesem Gesichte nach sind Sie ja –«
»Nun, was oder wer denn?«
»Donnerwetter! Sie sind aber doch eine Durchlaucht!«
»Sprechen Sie nur getrost!«
»Sie haben eine außerordentliche Ähnlichkeit mit einem Schulkameraden von mir. Er müßte jetzt genauso aussehen wie Sie!«
»Wie hieß er?«
»Er hieß – ah, Sie haben ja den Namen vorhin genannt! Brandt hieß er, Gustav Brandt.«
»Was war er denn?«
»Polizeibeamter oder vielmehr Criminalist. Ein gescheidter und braver Mensch. Leider aber wurde er –«
Er brach schnell ab.
»Nun, was wurde er?«
»Gnädiger Herr, ich beleidige Sie!«
»O nein! Sprechen Sie nur immer weiter.«
»Er wurde wegen Mordes zum Tode verurtheilt.«
»Ah! Und dem sehe ich ähnlich?«
»Außerordentlich. Aber es ist nicht die Ähnlichkeit mit einem Verbrecher. Brandt war kein Mörder.«
»Das sagen Sie, und noch dazu als Gefängnißbeamter?«
»O, ich habe ihn gekannt. Ich war damals Schließer. Ich habe nie an seine Schuld geglaubt. Und nun diese frappante Ähnlichkeit. Sie tragen falsches Haar, falschen Bart und eine falsche Wunde im Gesicht. Ich werde ganz irre. Ich weiß nicht, was ich denken soll!«
Da streckte er dem braven Wachtmeister die Hand entgegen und sagte gerührt:
»Schäme Dich Deiner Gedanken nicht, lieber Christian. Es ist Dein Schulkamerad, der vor Dir steht.«
Da ergriff der Wachtmeister Uhlig die dargebotene Rechte mit seinen beiden Händen und rief:
»Gott, ist’s wahr? Brandt, Gustav, Du bist’s wirklich?«
»Ja, ich bin es. Heute wird meine Unschuld
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