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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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befinden Sie sich in der Residenz?«
    »Seit heute Abend.«
    »Wer war der, welcher Sie am Seil emporsteigen ließ?«
    »Ich bin an keinem Seil emporgestiegen. Ich habe mich eingeschlichen, um in einem leeren Zimmer zu übernachten.«
    »Schaffen Sie ihn fort in die festeste Zelle, und fesseln Sie ihn an Armen und Beinen an!«
    Der Gefangene wurde mehr geschoben und gezerrt als geführt. Die Herren blickten einander fragend an.
    »Daß er entkommen mußte!« seufzte der Assessor. »Wohin wird er sein!«
    »Vielleicht finden wir eine Spur,« meinte der Fürst. »Herr Staatsanwalt, versäumen Sie keine Minute. Lassen Sie alle Telegraphendrähte spielen. Lassen Sie alle Cavalleriepatrouillen aussenden, gleich mit Anbruch des Tages, und lassen Sie sogar die Feuerwehr die Umgegend nach Spuren durchstreifen. Es muß Alles geschehen, ihn zu ergreifen.«
    »Sollte er nicht in der Stadt geblieben sein?«
    »Sicherlich nicht. Ich bin am Meisten bedroht Ich kann mich nur dadurch wahren, daß ich mich anstrenge, seiner habhaft zu werden. Lassen Sie mir deshalb sofort jede Neuigkeit zukommen. Ich werde mich jetzt entfernen, um einiges Licht in das jetzige Dunkel zu bringen.«
    Er verabschiedete sich. Mit ihm gingen Anton, Adolf und Doctor Holm, welche den Gefangenen gebracht hatten. Es war, als ob der Sturm durch die fürchterliche That Bormanns zum Schweigen gebracht sei. Seine Wuth war vorüber. Er hatte sich in einen steifen Wind verwandelt, und auch der Regen fiel nicht mehr so in Strömen.
    Indem die Vier neben einander dahinschritten, sagte der Fürst zu Holm:
    »Also, wo sahen Sie die beiden Verbrecher zuerst?«
    »Sie standen unter dem Portale der Kirche.«
    »In der Nähe des Helfenstein’schen Palastes?«
    »Ja.«
    »Das giebt mir zu denken. Der Baron hat einen Handkoffer nebst Inhalt gehabt. Wofür?«
    »Hm, wer das wüßte!«
    »Er hat sich an-und verkleiden können, und woher hat er Beides bekommen?«
    »Von fremden Leuten nicht.«
    »Nein, keinesfalls.«
    »Seine Bande aber ist gefangen.«
    »Von ihnen hat ihm Keiner aushelfen können. Also bleibt nur übrig, anzunehmen, daß er daheim gewesen ist.«
    »Kann er das wagen?«
    »Es ist allerdings ein Polizist in seinem Palais stationirt; aber wenn er einen Vertrauten hat, so – – – hm, ich werde doch einmal nach dem Palaste gehen.«
    »Dürfen wir Sie begleiten?«
    »Lieber Doctor, Sie haben Anderes zu thun. Werden Sie nicht vielleicht im Hotel Union erwartet?«
    »Durchlaucht, Sie sind allwissend!«
    »So gebe ich Ihnen Urlaub. Gehen Sie in Gottes Namen. Wir Drei sind Manns genug, eine Spur zu verfolgen, wenn wir sie finden. Gute Nacht also für jetzt!«
    »Gute Nacht!«
    Holm trennte sich von ihnen und kehrte nach dem Hotel zurück. Dort herrschte trotz der ungewöhnlichen Stunde das regste Leben. Nach einem solchen Ereignisse hatte Niemand Lust, sofort wieder das Bett aufzusuchen. Die derzeitigen Bewohner des Hauses saßen im Gastzimmer beisammen und konnten nicht fertig werden, das Thema zu besprechen.
    Als Holm eintrat, kam der Wirth gerade aus der Küche.
    »Kommen Sie herein, kommen Sie!« sagte er. »Die Herrschaften warten auf Sie.«
    »Später! Wo befindet sich Miß Starton?«
    »In ihren neuen Gemächern. Das Mädchen ist oben.«
    »Danke!«
    Er stieg die beiden Treppen hinauf und ließ sich melden. Er wurde auch sofort eingelassen.
    Ellen befand sich nicht mehr im Negligé. Sie hatte Morgentoilette gemacht und bewillkommnete ihn mit einem Darreichen ihrer Hand.
    »Endlich, endlich!« sagte sie. »Wo sind Sie doch nur so lange Zeit geblieben?«
    »Im Gefängnisse, um den Gefangenen abzuliefern.«
    »Wird man wohl entdecken, wer der Andere gewesen ist?«
    »Es ist bereits entdeckt.«
    »Ah! Wer?«
    »Der Hauptmann.«
    »Höre ich recht? Ist nicht der Hauptmann gefangen, oder vielmehr der Baron von Helfenstein?«
    »Er war es. Er ist entwichen.«
    »Doch nicht möglich!«
    »Leider. Unser Gefangener, ein gewisser Bormann, hat ihn befreit und dabei den Schließer mit dem Hammer erschlagen und einen Militärposten tödtlich verwundet.«
    »Herr Jesus! Derselbe, welcher bei mir eingebrochen ist?«
    »Ja.«
    »Gott, welch’ ein Schicksal stand mir bevor. Diese Zwei hätten mich ganz sicher ermordet!«
    »Gott hat es nicht gewollt.«
    »Er hat mir Sie gesandt. Sie sind mein Retter. Ihnen habe ich mein Leben zu verdanken!«
    Ihre Augen glänzten feucht, und ihre Wangen hatten sich geröthet. Sie streckte ihm die Hand entgegen und fuhr fort: »Wüßte ich

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