Der Vermesser (German Edition)
Der Schweiß stand ihm auf der Stirn, und er klagte über Magenschmerzen, Kopfweh und Atemnot. Er bestand darauf, dass der Vorarbeiter alle paar Schritte anhielt und seine an einem Stab befestigte Lampe in die Dunkelheit vor ihnen hielt, um nach giftigen Gasen Ausschau zu halten. Bei den Messungen hatten Jephsons Hände so heftig gezittert, dass William ihm die Wasserwaage abgenommen hatte, damit sie nicht im Schlamm unter ihren Füßen verloren ginge. Als sie die Stelle, an der William jetzt stand, erreicht hatten, drehte der Kerl durch. Seine Angst hatte sich wie Gas hinter ihm im Tunnel ausgebreitet und die anderen Männer angesteckt – außer William. Mit kühler Gleichgültigkeit hatte der zugesehen, wie Jephson schreiend in der dreckigen Brühe um sich schlug. William hatte die salatgrüne Färbung in dessen abgehärmtem Gesicht bemerkt, als die Strömung seinen Hut davontrug. Er hatte beobachtet, wie sich die leuchtend roten Flecken auf seinen hervortretenden Wangenknochen ausbreiteten und er mit den knochigen weißen Fingern an den bröckelnden Wänden Halt suchte. Und er hatte nur eine leichte Ungeduld verspürt, als sich Jephson schlagend und kreischend gegen den Klammergriff des Vorarbeiters und seines Assistenten zur Wehr setzte. Die Ausspüler waren kräftig wie Metzgerburschen, und mit ihren großen Fäusten packten sie Jephsons Arme, als wären es Axtstiele, doch eine Zeit lang wehrte sich der junge Mann derart heftig, dass sie alle Mühe hatten, ihn festzuhalten. Zuletzt strampelte Jephson so wild, dass er eine Schicht Backsteine lostrat.
»Schafft ihn hier raus!«
Der bedrohliche Unterton in der sonst eher melancholischen Stimme des Vorarbeiters war unüberhörbar gewesen. Als sie Jephson schließlich nach oben auf die Straße gezerrt hatten – der übrige Vermessungstrupp folgte in bedrücktem Schweigen –, war sein Haar dreckverkrustet, und seine Fingernägel waren alle abgebrochen.
Danach war Jephson in Grants Abteilung versetzt worden. Zurzeit führte er Untersuchungen über Portlandzement durch und experimentierte mit der Belastungsfähigkeit von Balken unterschiedlicher Stärke. Also blieb es William überlassen, die von der Baubehörde angeforderte Beurteilung des Tunnelzustands vorzunehmen. Denn nach diesem Zwischenfall hatte Lovick ihm die Verantwortung für die Überprüfung des bestehenden Kanalnetzes im Norden übertragen. Es hieß, William habe bei dem Vorfall mit Jephson demonstriert, dass er auch in einer kritischen Situation einen klaren Kopf bewahren konnte.
Die Lücke, die in dem Mauerwerk klaffte, war frei von Wasser und maß an ihrer breitesten Stelle fast dreißig Zentimeter. Ob sie in dieser Form das Werk von Jephsons Stiefeln war oder nicht – William musste sie jedenfalls noch ein Stück vergrößern. Sie musste ausreichend tief und breit sein, so dass er darin sitzen und die Laterne abstellen konnte. Mit nur einer Hand würde er es nicht schaffen. William leuchtete in die Vertiefung hinein. Die Wand war von schwarzen Rillen durchzogen, die meisten davon flach, kurz und in Vierer- und Fünferreihen angeordnet wie die Striche, die Sträflinge in die Wand ritzen, um das Vergehen der Zeit zu markieren. Einige waren breiter und gröber und paarweise angeordnet. Ratten. Sie hatten versucht, Löcher zu scharren, wahrscheinlich um sich vor dem steigenden Wasser in Sicherheit zu bringen, und ihre Krallen und sogar die Zähne ins Mauerwerk gegraben. Aber sie hatten kein Glück gehabt. Die Backsteinmauer war zwar weich genug, doch die faulige schwarze Brühe, die Williams Knie umspülte, war einmal ein Fluss gewesen. Vor langer Zeit hatte es hier eine Brücke gegeben, und große Blöcke des Portlandsteins, aus denen ihre Stützpfeiler bestanden, waren im Mauerwerk des Tunnels eingebettet geblieben. Die Bemühungen der Ratten hatten nur kalkige Kratzer auf der harten Oberfläche hinterlassen.
Eine Weile gab sich William der Vorstellung hin, zu einer anderen Zeit hier zu stehen und die Wärme der Sonne auf dem Gesicht zu spüren, während ihm sauberes Wasser um die Füße plätscherte. Er malte sich aus, wie wohlhabende Herren mit gepuderten Perücken neben ihren Frauen die Uferauen entlangpromenierten, die Hand ins Wasser tauchten, um aus dem Fluss zu trinken, oder sich über die Brückengeländer und aus den Booten lehnten, um zufrieden ihr Spiegelbild zu bewundern. Und wie der Blütenstaub über das Wasser trieb, während die silbrig glitzernden Fische träge den wartenden
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