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Der Vermesser (German Edition)

Der Vermesser (German Edition)

Titel: Der Vermesser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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waren. Später sollte es in Rawlinsons Bericht heißen, dass man sich keinen schlimmeren Ort vorstellen könne, um die Gesundheit eines Menschen wiederherzustellen. Beide Schiffe – ehemalige türkische Kriegsschiffe, die sich in einem beklagenswerten Zustand befanden – waren so überbelegt, dass sich Fieber und Schmutz ungehindert ausbreiteten. Das Hafenbecken, in dem sie dümpelten, wurde von ihren Abwässern in eine offene Kloake verwandelt.
    Ärzte ließen sich auf den Genesungsschiffen nur selten blicken. Die meiste Zeit lag William reglos auf seinem Strohsack. Er war nicht mehr gewalttätig. Vielmehr verfiel er in eine Art starren Halbschlaf, der nur gelegentlich von den Geräuschen und Bewegungen der anderen Männer durchdrungen wurde. Neben ihm murmelten seine Kameraden mit trockenen Kehlen mutlos vor sich hin, unterwarfen sich dem Willen des Allmächtigen und vertrauten sich seiner immerwährenden Obhut an. In den seltenen Augenblicken, in denen William bei klarem Verstand war, schalt er sie für ihre blinde Ergebenheit. Wollten sie denn nicht sehen, dass ihr fürsorglicher Gott sich von ihnen abgewendet und sie an diesem lausigen Ort mit ihren Leiden allein gelassen hatte, um sich mit dringlicheren und ruhmreicheren Angelegenheiten zu beschäftigen? Die Soldaten Ihrer Majestät hatten der Hölle ins Antlitz geschaut; das hatte ihnen die Seele geraubt. Keiner von ihnen besaß mehr Fleisch auf den Rippen, sie waren nur noch trockene Knochen, umhüllt von einem Leichentuch aus verlauster Haut. Für Männer wie sie gab es keine Erlösung, keinen Himmel. Ohne Seele waren sie nichts wert. Der Tod war leere Finsternis, die Ewigkeit des Nichts. Früher wäre William über solche Gedanken entsetzt gewesen, jetzt nicht mehr. In den endlosen Nächten von Skutari zog er aus seinen Grübeleien einen seltsamen, schrecklichen Trost. Im Tod würde er endlich Frieden finden.
    Und so lag er da, Tag um Tag, und wartete darauf, endlich die Hand des Todes auf der Schulter zu spüren. Er wäre nicht einmal aufgestanden, um zu essen, hätte es nicht Meath gegeben, einen freundlichen irischen Unteroffizier, der auf dem Nachbarstrohsack lag. Meath hatte in Alma ein Bein verloren. Den armseligen Läden in Skutari, die die Männer nicht einmal mit so einfachen Alltagsdingen wie Tellern, Messern, Gabeln und Wäsche versorgen konnten, waren schon die Krücken ausgegangen, als die Kämpfe noch gar nicht begonnen hatten. Von den Männern auf den Genesungsschiffen erwartete man, dass sie sich selbst das Essen holten, und so wurden die Rationen, so kärglich sie waren, auf dem Vorderdeck verteilt. Jeden Tag aufs Neue überredete Meath seinen Leidensgenossen, von seinem Lager aufzustehen, um sich gemeinsam mit ihm einen Weg zwischen den Strohsäcken zur Essensausgabe zu bahnen, langsam, wobei Meath den Arm um Williams Hals legte. Manchmal geriet William ins Wanken, wenn er die Wärme und Kompaktheit von Meaths Körper an dem seinen spürte.
    »Die Verpflegung hier ist fast so reichlich wie in meiner Kindheit«, pflegte Meath zu scherzen. Seine Familie hatte in Skibbereen einen Bauernhof gepachtet; alle seine Angehörigen außer seinem Bruder, der wie Meath Soldat geworden war, um den elenden Lebensbedingungen zu entgehen, waren verhungert. »Wenn ich gewusst hätte, dass ich hier die gleiche Brühe als Kaffee bekomme wie damals zu Hause, hätten mich keine zehn Pferde hergebracht.«
    Nachts weinte Meath still um seine Mutter und weil ihm sein amputiertes Bein unerträgliche Schmerzen bereitete. Auch William konnte keinen Schlaf finden. Nacht für Nacht lag er mit offenen Augen da, die Arme um die Brust geschlungen, reglos wie die Grabstatue eines mittelalterlichen Ritters. Er ließ nicht zu, dass ihn die Erinnerung an das Grauen überfiel, das ihn hierher gebracht hatte. Wenn sich, was selten vorkam, dennoch ein Stück Erinnerung in sein Bewusstsein schlich, war es so unwirklich und unscharf wie eine verblichene Daguerreotypie. Nur im Schlaf waren die Bilder lebendig, die endlosen Reihen der verwesenden Toten, der schwarze Schrecken des gefrorenen Schützengrabens, die Schatten, der Gestank und die anklagenden Schreie. Eines Nachts träumte er, er würde Polly töten, ihr das Bajonett immer wieder in den Hals stoßen. Sie schrie selbst dann noch, als ihr Kopf schon vom Hals abgetrennt war. Als er erwachte, musste er sich, von Schuldgefühlen und Schrecken gepeinigt, stundenlang übergeben. Während seine Wunde allmählich verheilte,

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