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Der Vermesser (German Edition)

Der Vermesser (German Edition)

Titel: Der Vermesser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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einem einzigen Biss töten konnte. Er lehrte sie, beim Loslassen den Kopf so zu schütteln, dass die tote Ratte ein Stück weit weggeschleudert wurde und nicht mehr im Weg war. Sämtliche einschlägigen Tricks. Und jeden Abend wusch er ihr das Maul mit Pfefferminzwasser aus, damit sich kein Geschwür bildete, und fütterte sie mit milchgetränktem Fleisch zur Stärkung ihrer Muskeln. Während Toms Hand auf ihrem Kopf ruhte, lag sie auf seinen Beinen und hechelte, die Zunge so rosa wie die Augen. Wenn er sie zum Schlafen aufs Bett legte, war seine Hose feucht von ihrer Wärme.
    Schließlich, als die Tage kürzer wurden, kam endlich der Regen. Als die Tropfen auf die braune Brühe des Flusses niederprasselten, strömten die Menschen aus ihren engen Gassen und Höfen auf die schlammigen Straßen. Bösartig wie die Ratten waren sie, kratzten, balgten und stießen sich und wussten dabei nicht einmal, wohin sie wollten, dennoch konnte nichts sie davon abhalten, draußen herumzulaufen. In den Abwasserkanälen ging es fast ebenso geschäftig zu. Tom traute seinen Augen kaum. Der Regen hatte sie noch eine Weile fern gehalten; bei diesen heftigen Güssen konnte man unmöglich hinuntersteigen. Aber sobald die Fluten zurückgingen, waren plötzlich alle möglichen Menschen dort unten zugange, Tag und Nacht. Holzverschläge mit Dächern aus Ölzeug wuchsen über Gitterrosten und Schachtdeckeln empor. Oft fing Tom das Echo menschlicher Stimmen auf und musste sich in die Dunkelheit zurückziehen oder einen anderen Weg einschlagen. Auch konnte man sich nicht mehr darauf verlassen, dass einem die Ausspüler aus der Patsche halfen. Früher wussten die Ausspüler genau, auf welcher Seite sie standen; da kamen sie und die Kanaljäger noch einigermaßen gut miteinander aus. Einer der alten Vorarbeiter drüben in Bermondsey war als junger Bursche sogar selbst einmal Kanaljäger gewesen. Erst als sein Alter Herr starb und das Geschäft nicht mehr so gut lief, wechselte er, verlockt von einem festen Einkommen, zu den Ausspülern. Im Grunde genommen waren sie beide gar nicht so verschieden, dachte Tom, denn beide verdienten sich ihren Lebensunterhalt damit, dass sie die Tunnel kannten wie ihre Westentasche und herausholten, was darin stecken blieb; und weil sie keine Konkurrenten waren, gab es auch keinen Grund, sich gegenseitig Ärger zu machen. So wie die Ausspüler den Kanaljägern halfen, indem sie dafür sorgten, dass die Tunnel nicht verstopften oder einstürzten, halfen umgekehrt diese auch ihnen, indem sie den Abfall beseitigten und die Zahl der Ratten in Grenzen hielten. Klar, die Reinigung der Abwasserkanäle hatte den Vorzug, eine legale Tätigkeit zu sein, andererseits gehörten die Ausspüler gewiss nicht zu der Sorte, die besonders gesetzestreu waren. Wenn es darum ging, sich zu entscheiden, ob man sich auf die Seite eines Kanaljägers oder die eines Polypen stellte, wusste ein vernünftiger Ausspüler, was er tun musste.
    Bis jetzt. Etwas von der feinen Gesellschaft, mit der die Ausspüler neuerdings Umgang pflegten, war ihnen zu Kopf gestiegen. Oder vielleicht lag es an den Zeitungen, die sich überschlugen mit Berichten über die glorreichen Errungenschaften der Zivilisation und was sonst nicht alles. Es gab eine Zeit, da musste man nur auf die Polypen und die Kerle auf dem Wasser achten. Jetzt waren die Ausspüler schlimmer als beide zusammengenommen. Die Kerle in den Booten und die Polypen kamen einem nur dann auf die Schliche, wenn man sich entsprechend blöd anstellte. Wenn sie die Laterne vom Fluss aus oder durch ein Gitter hindurch bemerkten oder einen beim Rein- oder Raussteigen erwischten. Aber die Ausspüler waren direkt mit unten im Tunnel. Wenn einer von ihnen etwas Verdächtiges hörte, ging er der Sache nach. Und jeder Ausspüler, der sein Geld wert war, kannte die Tunnel genauso gut wie Tom oder Joe. Wenn so einer sich vornahm, einen aufzustöbern, und die Zeit dazu hatte, saß man in der Patsche. Das Einzige, was man machen konnte, war, langsam und gleichmäßig zu gehen und zum Allmächtigen zu beten, dass die Ausspüler, wenn man ihnen zu nahe kam, mit ihren feinen Herren beschäftigt waren. Kein Ausspüler hätte es gewagt, diese feinen Pinkel mit nichts als einer Laterne allein zu lassen. Die würden ja Zeter und Mordio schreien.
    Etwa um die Zeit, als die Sternschnuppe auftauchte, die man Donatis Komet nannte, wurden der Hinkende Gil und zwei seiner Leute erwischt und bekamen drei Monate in Millbank

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