Der Vermesser (German Edition)
berühmt ist sie dort. Ein
Phänomen
. Stimmt’s, Tom? Ihr zwei seid berühmt im Borough.«
Er zupfte Tom heftig am Ärmel. Tom erwiderte nichts, stattdessen streichelte er Ladys Ohren. Sie rieb den Kopf an seiner Hand.
»Ein Phänomen?«, fragte der Captain verächtlich. »Diese Promenadenmischung?«
Verhaltenes Gelächter hallte durch den Raum. Brassey schluckte, und seine Froschaugen traten noch weiter hervor. »Aber gewiss. Hab selbst schon eine Menge Geld auf sie gesetzt, schon oft.« Er leckte sich die Lippen, als er beflissen den Stuhl des Captain wieder aufstellte und das Sägemehl von der Sitzfläche wischte. »Komm schon, Tom. Zeig dem Captain, was für ein Prachtstück sie ist.«
Der Captain zögerte. Dann warf er mit einem Achselzucken seinen Hut auf den Stuhl und verschränkte die Arme vor der Brust. Er setzte sich nicht.
»Also gut, zeig es mir, mit deinem Bastard«, meinte er gelangweilt. »Das Gemetzel soll beginnen.«
Eine neue Ladung Ratten wurde in den Ring gebracht. Ganz ruhig löste Tom die Leine von Ladys Hals und umfasste mit beiden Händen ihre Schnauze. Sie blickte ihn mit ihren rosafarbenen Augen unverwandt an. Dann hob er sie über die Brüstung.
»Was soll das?«, zischte Brassey mit puterrotem Gesicht. »Du machst doch den Sekundanten, oder? Du musst mit in den Ring.«
Aber Tom schüttelte den Kopf. »Nein. Sie mag das nicht.«
»In drei Teufels Namen, Mensch …«
Ohne auf den Wirt zu achten, setzte Tom Lady sanft auf den Boden. Die Leute im Publikum murmelten und schüttelten die Köpfe. Der Captain sah finster drein. Einen Augenblick lang hielt Tom die Hündin ganz ruhig fest, die Hände um ihren Brustkorb gelegt, die Finger zwischen ihren Rippen. Ungeduldig klopfte der Captain mit dem Fuß auf den Boden und trommelte mit den Fingern an die Bretterwand. Brassey ballte die feuchten Hände zu Fäusten und schloss die Augen. Dann richtete Tom sich auf und faltete die Hände, ohne seinen Hund aus den Augen zu lassen. Auch Lady stand ruhig da und blickte aufmerksam auf den kreischenden Haufen Ratten. Sie sah klein aus und sehr rosa.
Und dann, ohne einen Laut, machte sie sich ans Töten. Eine Ratte nach der anderen biss sie tot, noch eine und noch eine, fast ohne Atempause. Das Publikum starrte mit offenem Mund. Der Captain hatte aufgehört zu trommeln und umklammerte den Rand der Bretterwand. In seinen Augen leuchteten Gier und Freude. Es dauerte nur wenig mehr als eine Minute, bis ein Dutzend verendender Ratten mit blutrotem Genick im Ring lag und der weiß gestrichene Boden mit Blutspritzern übersät war. Als das Ende des Kampfes ausgerufen wurde, stapelten sich die toten Ratten wie schmutzige Sandsäcke an der Wand. Leise rief Tom Lady zu sich. Gehorsam setzte sie sich, jeder Muskel gespannt, den Blick auf die wenigen Ratten geheftet, die noch am Leben waren.
Einen Augenblick herrschte erstauntes Schweigen, dann brachen die Rufe los. Der Captain schlug mit der Faust donnernd an die Bretterwand. Seine Augen funkelten, und sein Atem kam in hechelnden Stößen wie bei einem Hund.
»Mehr!«, befahl er. »Gebt ihr mehr Ratten!«
Frenetisch nahm das Publikum den Befehl auf.
Mehr! Mehr!
Fäuste mit Münzen wurden geschwenkt.
Mehr! Hier! Mehr!
»Warum eigentlich nicht!«, krähte Brassey und tänzelte entzückt umher, als er den Geldschein erspähte, den der Freund des Captain in der Hand hielt. »Der Köter soll noch mal antreten.«
Tom beugte sich in den Ring hinab und hob Lady heraus. Protestrufe erschollen. »Das reicht«, sagte er seelenruhig.
»Aber Tom … Tom, komm schon, noch mal zwanzig Stück …«, sagte Brassey.
»Sie hat genug«, erwiderte Tom entschlossen.
»Was für eine Kampfmaschine«, meinte der Captain leise, zu Tom hinübergebeugt. Er streckte die Hand aus, um Lady über den Kopf zu streicheln, doch da fletschte die Hündin lautlos die Zähne. Worauf der Captain mit einem schalen Lächeln in die Tasche griff, um sich eine Zigarre herauszuholen. »Eine wirklich gute Kampfmaschine.«
»Hab ich’s nicht gesagt?«, fuhr Brassey triumphierend dazwischen und hielt dem Captain ein brennendes Zündholz hin. »Ein Phänomen. Und Tom will sie hier bei mir regelmäßig kämpfen lassen, stimmt’s, mein Freund? Regelmäßig.«
Der Captain sog den Rauch ein und lehnte sich an die Bretterwand, so dass Brassey beiseite treten musste.
»Ich bin auf der Suche nach einem Hund«, sagte er zu Tom.
Tom schwieg. Der Captain schürzte die Lippen und blies eine Kette
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