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Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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fasste sich.
    »Danke. Ja, ich hätte gern einen Schluck Tee. Die Polizeiwache in Shoreham war nicht besonders gut auf solche Dinge eingerichtet. Und auch ein belegtes Brot wäre mir sehr recht.«
     
    Als Pitt am frühen Nachmittag sein Haus in der Keppel Street erreichte, waren Daniel und Jemima noch in der Schule. Statt aufzuschließen, klopfte er an, um jene Minnie Maude, zu der Tante Vespasia so großes Zutrauen zu haben schien, nicht unnötig zu erschrecken.
    Während er auf der Schwelle von einem Fuß auf den anderen trat, überlegte er, welche Veränderungen er wohl vorfinden würde. Was war unerledigt geblieben, und was an seinem vertrauten Heim hatte sich so verändert, dass er es nicht wiedererkennen würde? Vor allem hätte Charlotte da sein müssen, denn ohne sie war das Ganze nur eine leere Hülle.

    Eine schlanke junge Frau öffnete und sah ihn zurückhaltend an.
    »Was kann ich für Se tun, Sir?«, fragte sie höflich, wobei sie mitten im Türrahmen stehenblieb, damit er nicht einfach an ihr vorbei eintreten konnte. Sie war nicht hübsch, hatte aber schöne leuchtende Locken. Außerdem war ihr Gesicht voller Sommersprossen. Sie war deutlich größer als Gracie, doch ihr Blick war genauso offen und fast ebenso herausfordernd wie ihrer.
    »Sind Sie Minnie Maude?«, fragte er.
    »Entschuldigung, Sir, aber das geht Sie nichts an«, gab sie zur Antwort. »Wenn Sie mit dem Hausherrn sprechen wollen, geben Sie mir einfach Ihre Karte. Ich sag ihm dann, dass er sich bei Ihnen melden soll.«
    Unwillkürlich musste er lächeln. »Dann gebe ich Ihnen in Gottes Namen meine Karte.« Er nahm eine aus der Tasche und hielt sie ihr hin, wobei er sich fragte, ob sie wohl lesen könne. Von Gracie wusste er, dass sie diese Kunst beherrschte, denn Charlotte hatte es ihr beigebracht.
    Minnie Maude warf einen Blick auf die Karte, sah dann zu ihm hin und erneut auf die Karte.
    Er lächelte.
    Sie errötete bis an die Haarwurzeln. »Entschuldigung, Sir«, sagte sie stockend. »Ich hab Se ja nich’ gekannt.«
    »Kein Grund, sich zu entschuldigen«, sagte er rasch. »Es war völlig richtig, niemanden einzulassen, von dem Sie nicht wussten, wer er ist.«
    Sie tat einen Schritt zurück und ließ ihn eintreten. Kaum stand er in der vertrauten Diele, nahm er den Lavendelgeruch des frisch gebohnerten Fußbodens wahr. Der Spiegel an der Wand war fleckenlos, nirgendwo lag das kleinste Stäubchen, und Jemimas Schuhe standen ordentlich und sauber geputzt unter der Flurgarderobe.

    Als Nächstes sah er sich in der Küche um. Alles war, wie es sein sollte: im Herd brannte ein Feuer, ohne dass der Raum überheizt gewesen wäre, die blau-weißen Teller und Untertassen waren säuberlich ins Tellerbord der Anrichte eingeräumt, das Kupfergeschirr hing blankgeputzt an der Wand, und der Küchentisch war blitzsauber. Der Geruch von frisch gebackenem Brot stieg ihm ebenso in die Nase wie jener der Wäsche, die zum Trocknen auf dem Gestell unter der Decke hing. Er war wieder daheim. Alles war, wie es sich gehörte, mit Ausnahme dessen, dass seine Frau und seine Kinder nicht da waren. Doch wusste er immerhin, wo sich Charlotte aufhielt, und die Kinder waren in der Schule.
    »Möcht’n Se ’ne Tasse Tee, Sir?«, fragte Minnie Maude zögernd.
    Zwar war das so kurz nach seinem Besuch bei Lady Vespasia nicht erforderlich, aber er hatte den Eindruck, dass sich die junge Frau nützlich machen wollte.
    »Danke«, nahm er das Angebot an. »Ich muss anschließend noch einmal in die Stadt und weiß nicht, ob ich zum Abendessen zurück sein werde. Falls ja, genügt eine kalte Mahlzeit.« Dann wies er auf den in Frankreich gekauften kleinen Koffer, in dem er die Dinge des täglichen Bedarfs mitgebracht hatte, die er dort ebenfalls hatte kaufen müssen. »Außerdem ist hier drin etwas Wäsche, die gewaschen werden muss.«
    »Ja, Sir. Und möcht’n Se sonst kalt’n Lammbrat’n mit heißem Eintopf aus Kohl un’ Kartoffeln? Das krieg’n Daniel un’ Jemima heute Abend, weil se das gerne ess’n. Se mög’n auch Eier dazu.«
    »Eier sind genau das Richtige, vielen Dank.« Es war ihm ernst damit. Was sie gesagt hatte, klang vertraut, versprach Behaglichkeit, und sicher würde es ihm schmecken.
    Zwar hatte ihn Lady Vespasia gemahnt, sich von Lisson Grove fernzuhalten, doch blieb ihm seiner Ansicht nach nichts
anderes übrig, als hinzugehen. Zumindest würde ein Besuch im Hauptquartier des Sicherheitsdienstes ihm einen gewissen Überblick über die Lage dort

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