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Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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der Heide. Die Bäume zeigten erstes Laub, und die Vögel sangen.
    Der Butler führte Pitt in die Bibliothek. Dort stand Croxdale an den Fenstertüren, die auf den Garten hinausführten, allem Anschein nach in den Anblick des blassen Abendhimmels im letzten Licht des Tages versunken. Bei Pitts Eintritt drehte er sich um und hielt ihm die Hand hin.
    »Scheußlich«, sagte er voll Mitgefühl. »War für uns alle ein harter Schlag. Ich kenne Narraway seit vielen Jahren. Kein einfacher Mann, eher ein Einzelgänger als jemand, der sich in eine Mannschaft einfügt, aber ein glänzender Kopf. Hatte ihn immer für absolut zuverlässig gehalten. Man könnte glauben, dass niemand je vollständig den Schatten seiner Vergangenheit entkommt.« Er wies auf einen der Sessel am Kamin. »Setzen Sie sich doch, und berichten Sie, was in Saint Malo vorgefallen ist. Haben Sie überhaupt schon zu Abend gegessen?«
    Überrascht merkte Pitt, dass er Hunger hatte. So intensiv war er damit beschäftigt gewesen, die verschiedenen Möglichkeiten durchzugehen, so sehr hatte ihn die Sorge im Griff gehabt, dass ihm das überhaupt nicht aufgefallen war. Jetzt suchte er nach einer höflichen Antwort.
    »Vielleicht belegte Brote?«, bot Croxdale an. »Wie wäre es mit Roastbeef?«
    Da Pitt aus bitterer Erfahrung wusste, wie schwer es fällt, auf leeren Magen vernünftige Gedanken zu fassen, sagte er: »Ja, bitte, Sir.«
    Croxdale klingelte nach dem Butler und bestellte Whisky sowie mit Roastbeef belegte Brote.
    Als der Mann gegangen war, setzte sich Croxdale bequem hin, nickte Pitt zu und sagte: »Wie war das also in Saint Malo?«
    Pitt machte ihm dieselben Angaben wie Austwick. Noch war er nicht bereit, jemandem die ganze Wahrheit anzuvertrauen.
Narraway kannte Croxdale weit länger als Pitt. Wenn der Minister bereit war zu glauben, dass Narraway Geld unterschlagen hatte, warum sollte er dann von Pitt als Narraways Schützling und engstem Verbündeten eine höhere Meinung haben?
    Der Butler brachte die Brote, die Pitt köstlich mundeten. Dazu ließ er sich entgegen seiner Gewohnheit ein Glas Whisky aufnötigen, lehnte aber das zweite höflich ab. Das Feuer in den Adern zu spüren, zu merken, dass sein Herz etwas schneller schlug, war zwar ein angenehmes Gefühl, doch konnte es katastrophale Folgen haben, sich vom Alkohol benebeln zu lassen.
    Croxdale dachte eine Weile schweigend nach, bevor er auf Pitts Darlegungen antwortete.
    »Ich bin überzeugt, dass Sie richtig gehandelt haben«, sagte er schließlich. »Offensichtlich erfordert die Situation dort eine gründliche Überwachung, doch auf der anderen Seite können wir Sie im Augenblick in Lisson Grove nicht entbehren. Die entsetzliche Geschichte mit Narraway hat dort das reinste Chaos angerichtet.«
    Pitt fiel auf, dass Croxdale ihn sehr viel aufmerksamer musterte, als man auf den ersten Blick hätte annehmen können. Er wartete respektvoll mit besorgtem Gesicht, als kenne er noch nicht alle Einzelheiten.
    Mit einem Seufzer fuhr Croxdale fort: »Ich nehme an, dass diese Sache Sie ebenso entsetzt hat wie mich. Vielleicht hätten wir das voraussehen müssen, aber offen gestanden habe ich mit dieser Möglichkeit nicht gerechnet. Natürlich ist uns bewusst, dass die Mehrzahl der Menschen auf ihren finanziellen Vorteil bedacht ist – es wäre ein schwerer Fehler, wenn wir das bei unseren Erwägungen nicht berücksichtigten. Soweit wir wissen, ist Narraway nicht unbedingt auf Geld angewiesen, und die Geschichte mit O’Neil liegt lange zurück, zwanzig
Jahre oder mehr.« Er sah mit zusammengezogenen Brauen zu Pitt hin. »Hat er Ihnen irgendwann einmal etwas darüber gesagt? «
    »Nein, Sir.«
    »Lange zurückliegender Fall. Hässliche Geschichte. Hatte ich ehrlich gesagt für erledigt gehalten, wie alle anderen auch. Narraway war vor Jahren für kurze Zeit nach Irland abgeordnet, weil der Dienst annahm, dass es da Ärger geben würde. Genauso war es auch. Hat die Sache so erfolgreich abgebogen, dass öffentlich nie etwas davon bekanntgeworden ist. Um welchen Preis, hat man erst später erfahren.«
    Pitts Unwissenheit war jetzt echt und auch seine immer mehr zunehmende Angst.
    Mit kaum wahrnehmbarem Kopfschütteln sagte Croxdale, wobei er betrübt das Gesicht verzog: »Hat eine Irin gegen ihre eigenen Leute eingesetzt, eine gewisse Kate O’Neil. Einzelheiten sind mir nicht bekannt. Ist mir auch lieber so. Jedenfalls hat ihr Mann sie auf ziemlich üble Weise umgebracht, wofür er gehängt worden

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