Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
haben uns eine große Last von der Seele genommen.«
    Ihm blieb keine Wahl, als anzunehmen. Sogleich machte sich Croxdale daran, seinen künftigen Aufgabenbereich zu umreißen, ihm seine Vollmachten zu erklären und ihm mitzuteilen, welche Gegenleistungen er dafür erwarten durfte.
    Es war Mitternacht, als Pitt in die von Laternen erhellte Nacht hinaustrat. Auf der Straße stand Croxdales Kutsche bereit, die ihn nach Hause bringen sollte.

KAPITEL 9
    Als Charlotte Cormac O’Neils Haus so gefasst wie möglich verließ, fürchtete sie, jeder könne ihr die Angst, Verwirrung und hilflose Wut ansehen, die sie empfand. Ihr war bewusst, dass Narraway auf keinen Fall Cormac O’Neil getötet hatte, was auch immer er sonst auf dem Kerbholz haben mochte – und das war möglicherweise eine ganze Menge. Er hatte das Haus praktisch unmittelbar vor ihr betreten, gleich darauf hatte sie gehört, wie der Hund zu bellen begonnen und seine Lautstärke immer mehr gesteigert hatte. Ging das lediglich darauf zurück, dass er Narraways Eintreten gemerkt hatte, oder hatte es womöglich auch damit zu tun, dass er den Tod seines Herrn mitbekommen hatte?
    Hatte O’Neil geschrien? Hatte er seinen Mörder gesehen, oder war er von hinten erschossen worden? Charlotte hatte keinen Schuss gehört. Das war der springende Punkt, natürlich! Sie hatte ausschließlich das Bellen des Hundes gehört. Es hatte Narraway gegolten, nicht aber demjenigen, der den Schuss abgefeuert hatte, wer auch immer das gewesen sein mochte.
    Als ihr das aufging, blieb sie wie angewurzelt mitten auf der Straße stehen. Narraway konnte Cormac unmöglich erschossen haben. Diese Gewissheit gründete sich nicht darauf, dass
sie an ihn geglaubt hätte, sondern auf die Umstände: Die Tatsachen ließen keinen anderen Schluss zu. Sie machte auf dem Absatz kehrt und eilte mit großen Schritten zurück zu O’Neils Haus. Dann blieb sie ebenso unvermittelt wie zuvor stehen. Warum sollte man ihr glauben? Zwar wusste sie, dass, was sie sagte, der Wahrheit entsprach, aber wer würde das bestätigen oder untermauern?
    Niemand – natürlich nicht! Talulla Lawless würde ihr mit Sicherheit allein schon wegen ihres blinden Hasses auf Narraway widersprechen. Es würde sie freuen, wenn man ihn für den Mord an Cormac an den Galgen brachte. In ihren Augen wäre das ein Sieg der Gerechtigkeit – und sie würde es besonders genießen, weil sie so lange darauf hatte warten müssen. Zweifellos war ihr bewusst, dass er nicht schuldig war, denn sie hatte sich nahe genug am Ort des Geschehens aufgehalten, um selbst zu hören, wann der Hund angefangen hatte zu bellen. Doch zugleich wäre sie die Letzte, die das zugeben würde.
    Das dürfte Narraway bewusst sein. Charlotte erinnerte sich an den Ausdruck seines Gesichts in dem Augenblick, als er zuließ, dass ihn der Polizeibeamte fesselte. Er hatte ihr lediglich einen kurzen Blick zugeworfen, in dem alles lag, was er zu sagen hatte. Es war unerlässlich, dass sie ihn verstand. Außerdem musste sie unbedingt einen kühlen Kopf bewahren und die Situation in allen Einzelheiten gründlich durchdenken. Handeln durfte sie erst, wenn sie sich ihrer Sache vollständig sicher war. Es genügte nicht, die Wahrheit zu kennen, sie musste auch die Möglichkeit haben, unwiderlegliche Beweise dafür vorzubringen. Es war äußerst schwierig, jemanden von etwas zu überzeugen, was dessen Empfindungen widerstrebte. Das galt in diesem Fall besonders, denn hier ging es um einen vor vielen Jahren aufgerissenen tiefen Graben zwischen Freund und Feind, um Überzeugungen, für die Menschen mit Blut und schweren Verlusten bezahlt hatten.

    Sie stand nach wie vor reglos da. Inzwischen hatte sich vor dem etwa hundert Schritt entfernten Haus wegen der dort begangenen Gewalttat eine kleine Menschenmenge angesammelt. Man sah zu ihr her. Vermutlich fragten sich die Leute, warum sie dort stand.
    Sie schluckte, strich sich den Rock glatt, wandte sich erneut um und machte sich auf den Weg zu einer Stelle, von der sie annahm, dass sie dort am ehesten eine Droschke zurück zur Molesworth Street finden konnte. Es galt, eine ganze Reihe praktischer Gesichtspunkte sorgfältig zu erwägen. Sie war jetzt völlig auf sich allein gestellt. In der ganzen Stadt gab es niemanden, dem sie trauen konnte. Sie musste überlegen, ob sie in Mrs Hogans Pension bleiben sollte oder ob es sicherer wäre, sich eine andere Unterkunft zu suchen, von der niemand etwas wusste. Schließlich hatte es sich

Weitere Kostenlose Bücher