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Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Mulhare fasste und umbrachte. Kannte ihn der Mann so wenig? Oder war das ein Ergebnis seines schon lange gehegten Grolls? Ging das auf sein Bestreben zurück, Narraways Stelle einzunehmen, um die vergleichsweise unumschränkte Macht ausüben zu können, die diesem zu Gebote stand?
    »Ja, und von dort ist es weitergegangen«, sagte er zu Austwick. »Wir mussten es ein wenig hin und her schieben, damit es sich nicht ohne weiteres zum Sicherheitsdienst zurückverfolgen ließ.«
    »Sicher«, stimmte Austwick gequält zu. »Es ist an verschiedene Stellen gegangen. Der Haken ist aber, dass es zum Schluss zurückgekehrt ist.«
    »Zurück? Es ist an Mulhare gegangen«, korrigierte ihn Narraway.
    »Nein, Sir, das ist es nicht. Es ist an eins Ihrer Sonderkonten zurückgegangen, und zwar eines, von dem wir angenommen hatten, es sei inzwischen aufgelöst«, sagte Austwick. »Und da liegt es immer noch. Wenn es bei Mulhare angekommen wäre, hätte er Dublin verlassen und wäre noch am Leben. Es ist in der Tat mehrfach hin und her geschoben worden, so dass man seine Herkunft kaum noch feststellen konnte, ganz, wie Sie gesagt haben, aber am Schluss ist es da gelandet, von wo es überwiesen wurde, nämlich auf Ihrem Konto.«
    Narraway holte Luft, um das zu bestreiten, sah aber in Austwicks Augen, dass das sinnlos sein würde. Ganz gleich, wer
das Geld dorthin überwiesen hatte, Austwick war fest überzeugt, dass Narraway selbst dahintersteckte, oder er tat zumindest so, als glaube er das.
    »Ich war das nicht«, sagte Narraway, nicht weil er annahm, mit dieser Erklärung etwas ändern zu können, sondern weil er nicht bereit war, für etwas geradezustehen, was er nicht getan hatte. »Verrat« war kein Begriff, den er leichtfertig verwendete, doch es bestand kein Zweifel daran, dass man Mulhare verraten hatte, und das war ihm in tiefster Seele zuwider. »Ich habe es an Terence Kelly weitergeleitet, mit dem Auftrag, dafür zu sorgen, dass Mulhare es bekam. Aus leicht einsehbaren Gründen konnte ich es nicht direkt an Mulhare überweisen – ebenso gut hätte ich ihm eine Zielscheibe auf die linke Brustseite malen können.«
    »Können Sie das beweisen, Sir?«, fragte Austwick in höflichem Ton.
    »Natürlich nicht!«, fuhr ihn Narraway an. Stellte sich der Mann absichtlich begriffsstutzig? Er wusste genauso gut wie Narraway, dass man bei solchen Transaktionen keine Spuren hinterlassen durfte, die als Beweis dienen konnten. Was auch immer er jetzt zu seiner Rechtfertigung beweisen könnte, hätte sich jeder Beliebige zunutze machen können, um Mulhare das Genick zu brechen.
    »Sie werden einsehen, dass damit die ganze Sache fragwürdig erscheint«, sagte Austwick in halb entschuldigendem Ton und mit ausdruckslosem Gesicht. »Es dürfte sich sehr empfehlen, Sir, irgendeinen Beweis dafür zu finden, dass es sich so verhält, wie Sie sagen, damit man die Angelegenheit als erledigt betrachten kann.«
    Narraways Gedanken jagten sich. Er hatte einen genauen Überblick über alles, was sich auf den von ihm geführten Bankkonten befand, sowohl den dienstlichen als auch den privaten. Austwick hatte gesagt, man habe das bewusste Konto
für aufgelöst gehalten. Narraway aber hatte absichtlich einen geringen Betrag darauf stehen lassen für den Fall, dass er es noch einmal brauchen konnte. Das war eine Frage der Zweckmäßigkeit gewesen. Seines Wissens nach hatte es auf diesem Konto eine ganze Zeit lang keinerlei Bewegungen gegeben.
    »Ich sehe mir das Konto an«, sagte er mit kalter Stimme.
    »Ein guter Gedanke, Sir«, stimmte Austwick zu. »Vielleicht finden Sie dabei auch eine Erklärung dafür, warum das Geld an Sie zurückgegangen ist, und einen Beweis für den Grund, aus welchem der arme Mulhare es nie bekommen hat.«
    Schlagartig begriff Narraway, dass diese Worte Austwicks keine Anregung waren, sondern eine ernst gemeinte und kaum verhüllte Drohung. Mit einem Mal erfasste ihn die Sorge, dass seine Stellung im Sicherheitsdienst gefährdet sein könnte. Ihm war klar, dass er sich im Laufe der Jahre auf seinem Weg an die Spitze der Organisation Feinde gemacht hatte, und erst recht, seit er sie leitete. In dieser Position hatte man immer wieder harte Entscheidungen zu treffen, mit denen zwangsläufig nicht jeder einverstanden war. Opfer mussten gebracht werden, und zwar sowohl in Bezug auf Ideale als auch auf Menschen. In seinem Beruf hatte man es mit dem Auf und Ab geschichtlicher Ereignisse zu tun, da war kein Platz für

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