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Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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dass sich ihr Mann gemeldet hatte.
    Nach der Mittagspause kam Charles Austwick in Narraways Büro und schloss die Tür hinter sich. Er war ein recht gut aussehender, wenn auch unauffälliger Endvierziger, dessen blondes Haar sich zu lichten begann. Mit seiner Intelligenz und Tüchtigkeit hatte er sich offiziell die Position als Narraways Stellvertreter erarbeitet, doch hatte es sich so ergeben, dass Pitt diese Funktion de facto ausübte. Austwick sah Narraway so bemüht direkt an, als sei ihm etwas unangenehm und er versuche das nicht deutlich werden zu lassen. Er war dafür bekannt, dass er nie offen zeigte, was er empfand oder dachte.

    »Eine schwierige Situation ist eingetreten, Sir«, sagte er und nahm unaufgefordert Platz. »Es tut mir leid, aber ich muss das ansprechen.«
    »Dann tun Sie das, statt lange um den heißen Brei herumzureden !«, sagte Narraway ein wenig heftig. »Also, worum dreht es sich?«
    Austwicks Gesicht spannte sich so an, dass seine Lippen wie ein schmaler Strich aussahen.
    »Um Informanten«, sagte er. »Sie erinnern sich doch an Mulhare?«
    Die einen winzigen Augenblick lang aufblitzende Befriedigung in Austwicks blassen Augen ließ erkennen, dass das, was er zu sagen hatte, mit Narraway selbst zu tun hatte, mit einem wunden Punkt seines Vorgesetzten. Voll Trauer erinnerte sich Narraway an den Iren Mulhare, der sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte, um zu tun, was er für seine Pflicht hielt, indem er den Engländern Informationen zuspielte. Das war so gefährlich gewesen, dass er Irland mitsamt seinen Angehörigen hätte verlassen müssen, um nicht der Rache seiner Landsleute zum Opfer zu fallen, und Narraway hatte dafür gesorgt, dass man ihm das dazu nötige Geld zur Verfügung stellte.
    »Selbstverständlich«, sagte er gelassen. »Hat man seine Mörder ermittelt? Leider wird dies Wissen niemandem mehr etwas nützen.« Er wusste, dass seine Stimme bitter klang. Er hatte Mulhare gut leiden können und ihm zugesichert, dass ihm nichts geschehen werde.
    »Die Sache ist ziemlich verzwickt«, gab Austwick zurück. »Er hat das Geld nicht bekommen und konnte Irland deshalb nicht verlassen.«
    »Doch, er hat es bekommen«, widersprach Narraway. »Ich habe das selbst in die Wege geleitet.«
    »Genau das ist der springende Punkt«, sagte Austwick und rückte seinen Stuhl ein wenig auf dem Teppich zurecht.

    Es ärgerte Narraway, dass man ihn an diesen Fehlschlag erinnerte; Mulhares Tod war ein herber Verlust, der ihn stets schmerzen würde. »Wenn Sie mir nicht sagen können, wer ihn umgebracht hat, warum vergeuden Sie dann Ihre und meine Zeit mit dem Fall, statt sich um Ihre laufende Arbeit zu kümmern?«, fragte er schroff. »Sofern Sie nichts zu tun haben sollten, finde ich bestimmt etwas für Sie. Pitt und Gower werden eine Weile nicht ins Büro kommen, und irgendjemand muss Pitts laufende Arbeit übernehmen.«
    »Ach?« Austwick verbarg seine Überraschung nur mühsam. »Das habe ich gar nichts gewusst. Niemand hat mir etwas davon gesagt.«
    Narraway sah ihn kalt an, ohne auf den unausgesprochenen Vorwurf einzugehen.
    Austwick holte tief Luft. »Wie gesagt«, nahm er den Faden erneut auf, »es tut mir sehr leid, dass wir uns wieder mit der Sache befassen müssen. Man hat Mulhare verraten …«
    »Das ist uns bekannt, zum Kuckuck!« Narraway hörte den Ärger in seiner Stimme. »Man hat seine Leiche aus der Bucht von Dublin gefischt.«
    »Er hat das Geld nie bekommen«, wiederholte Austwick.
    Narraway presste seine Hände unter dem Tisch fest zusammen, so dass Austwick es nicht sehen konnte.
    »Ich habe die Zahlung selbst in die Wege geleitet.« Das stimmte, doch hatte er aus guten Gründen, die er Austwick nicht mitzuteilen gedachte, dafür gesorgt, dass es den Empfänger auf verschlungenen Wegen erreichte.
    »Aber Mulhare hat es nie bekommen«, gab Austwick zurück. In seiner Stimme schienen sich unterschiedliche Empfindungen zu vermengen. »Wir haben inzwischen festgestellt, wohin es gegangen ist.«
    Narraway war verblüfft.
    »Nämlich wohin?«

    »Ich weiß nicht, wo es sich im Augenblick befindet«, gab Austwick zurück, »aber es ist auf eins Ihrer Konten hier in London gegangen.«
    Narraway erstarrte. Mit erschreckender Klarheit begriff er, was Austwick von ihm wollte, und er hatte eine undeutliche Vorstellung davon, was geschehen war. Austwick vermutete – oder war gar überzeugt –, dass Narraway das Geld für sich abgezweigt und mit voller Absicht zugelassen hatte, dass man

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